Montag, 21. November 2022

Schroeder, Steffen "Was alles in einem Menschen sein kann"

Schroeder, Steffen "Was alles in einem Menschen sein kann. Begegnung mit einem Mörder" [What can be in a person. Encountering a murderer] - 2017

Steffen Schroeder ist ein deutscher Schauspieler, der in einer bekannten Krimiserie (SOKO Leipzig) einen Kommissar spielt. Da wir äußerst selten deutsche Filme oder Fernsehserien ansehen, hatte ich noch nie von ihm gehört. Er hat sich irgendwann entschlossen, ehrenamtlicher Vollzugshelfer zu werden und wurde so der Hauptkontakt zu dem Häftling Micha, der wegen eines Mordes lebenslang einsitzt.

Das Buch wurde von einem Mitglied unseres Lesekreises vorgeschlagen, weil sie ein Interview mit dem Schauspieler gesehen hatte, in dem er das Buch vorstellte.

Die Thematik ist sehr schwierig. Zunächst lernen wir sowohl Steffen als auch Micha etwas näher kennen. Der Autor erzählt, dass in seiner Jugend nicht alles glattlief, dass er überlegt, ob er, genau wie Micha hätte abrutschen können, dass die Rollen vielleicht sogar hätten vertauscht sein können.

Und das ist vielleicht eines der interessantesten Ansatzpunkte in diesem Buch. Warum gerät jemand auf die schiefe Bahn, ein anderer nicht. Es ist nicht immer der Hintergrund oder die Umgebung, die Kontakte, sonst wäre das alles zu einfach.

Wir lernen Micha relativ gut kennen, so gut wie es eben geht aus dieser Perspektive. Wir erfahren auch viel vom Leben im "Knast", nichts läuft da positiv. Na ja, man kann sagen, die sitzen da auch nicht, weil sie irgendwo ein Stück Brot geklaut haben. Aber damit macht man es nicht besser. Wenn die Leute wieder rauskommen und keine Perspektive haben, geraten sie wieder auf die schiefe Bahn. Das hilft niemandem.

Ich habe in meiner Arbeit für die Zeitung einmal einen Gefängnispfarrer besucht, der jugendliche Strafgefangene betreute und der mir sagte, die werden dort nur auf ihre nächsten Taten vorbereitet und die meisten kommen wieder. Das war nicht für den Artikel gedacht und ich habe es auch weggelassen, aber ich habe mich schon oft gefragt, ob das richtig war.

Zurück zu Micha. Er kommt recht sympathisch rüber. Er hat seine Eltern und seinen Bruder verloren, seitdem er im Gefängnis sitzt. Zu der Freundin und dem gemeinsamen Sohn hat er gar keinen Kontakt mehr. Dann stirbt auch noch sein bester Kumpel im Gefängnis. Lauter Erlebnisse, die Mitleid erwecken. Aber man muss sich auch jedes Mal wieder sagen. Er hat einen Menschen umgebracht, einen unschuldigen Menschen. Dafür muss er natürlich bestraft werden, sonst würde das jeder machen. Aber ist die Art der Bestrafung passend? Bestrafen wir uns nicht auch selbst damit, wenn wir diesen Menschen keine Chance geben, sie in ein normales Leben zurückkehren zu lassen, wenn sie ihre Strafe "abgesessen" haben, damit sie nicht zurück müssen, damit sie nicht wieder einen Unschuldigen umbringen.

Der Titel sollte uns auch dazu veranlassen, zu überlegen, was wirklich in einem Menschen sein kann, egal welcher Art. Wir können nie hineinblicken, aber wir können uns immer bemühen, andere ein wenig besser zu verstehen. Vielleicht gäbe es dann weniger Michas, aber auf jeden Fall wäre die Welt ein wenig freundlicher, wenn wir mehr Verständnis anderen gegenüber aufbrächten.

Ein sehr spannendes Thema, das uns alle noch lange verfolgen wird. Und das ist auch gut so. Es ist an der Zeit, dass hier Veränderungen auftreten.

Buchbeschreibung:

"2013 stehen sich Steffen Schroeder und Micha im Gefängnis Berlin-Tegel zum ersten Mal gegenüber. Ein Gespräch über ihre schwierige Jugend bringt sie einander näher, bei allen Unterschieden: Schroeder wurde Schauspieler, Micha rutschte ins rechte Milieu ab, brachte einen Menschen um. Es beginnt eine besondere Beziehung: Schroeder, bekannt als Kommissar Kowalski in 'SOKO Leipzig', wird Vollzugshelfer des lebenslänglich Verurteilten. Er lernt den Gefängnisalltag kennen, erfährt von Rangordnungen, Drogen, Ausbruchsversuchen; über die Jahre dringt er tief in Michas Geschichte ein, erfährt immer wieder Neues, Überraschendes. Für Micha wird er wichtiger und wichtiger, er begleitet ihn bei Freigängen, ist ihm Auge und Ohr für die Welt. Bald sieht Schroeder sich selbst und sein Leben in neuem Licht: Was unterscheidet ihn eigentlich von Micha? Und welche Entscheidungen und Wendepunkte führen überhaupt dazu, dass ein Leben gelingt oder scheitert?

Steffen Schroeder schreibt mit viel Gespür für das Menschliche über eine außergewöhnliche Begegnung und stellt dabei existenzielle Fragen nach Schuld, Schicksal und der Verantwortung dem eigenen Leben gegenüber. Der Fernsehkommissar und der Mörder - ein starkes, glänzend erzähltes Buch.
"

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