Dienstag, 22. Juni 2021

Tau, Max "Das Land, das ich verlassen mußte"

Tau, Max "Das Land, das ich verlassen mußte" [The Country I Had to Leave] - 1961

Der erste Empfänger des Deutschen Friedenspreises in 1950 (englische Liste hier).

Nach dem letzten Buch von Carolin Emcke (Gegen den Hass/Against Hate) hatte ich mir vorgenommen, mehr Friendenspreisträger zu lesen. So begann ich mit dem ersten. Max Tau, ein Deutscher, der vor den Nazis flüchten musste. Ein sehr gutes Buch, in dem er beschreibt, wie sein Leben vor den Nazis aussah und wie er es letztendlich schaffte, vor ihnen zu fliehen.

Der Autor beschreibt sein Leben, angefangen mit seiner Kindheit und Jugend, von seinem Beruf und von den Menschen, die ihm geholfen haben. Ein Buch, das Mut macht, dass man hofft, man gehört zu den "Guten" in einer schlimmen Zeit.

"Dies sind die Memoiren des Mannes, der als erster mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde. Max Tau schildert seinen Werdegang und sein Leben, ein unerhört erfülltes und reiches Leben; er schildert zugleich seine Zeit, die zwanziger Jahre, und ihre geistigen und literarischen Ereignisse. Als enger Mitarbeiter bedeutender literarischer Verlage, der sich mit heißem Herzen und mitreißender Begeisterung für das Schaffen vieler junger Autoren einsetzt, ist er ein Wegbereiter und legitimer Sprecher dieser Epoche.

Die erregten Diskussionen im Hause Bruno Cassirers in Berlin spiegeln das Bild eines lebendigen, geistigen Mittelpunktes dieser Jahre, mit deren führenden Persönlichkeiten er zusammentraf - mit Schriftstellern, Malern, Schauspielern, Kritikern und nicht zuletzt Verlegern, die seine Freunde wurden. All das wurde ausgelöscht mit dem Beginn des Judenboykotts 1933, wenn es viele zunächst auch noch nicht wahrhaben wollten. '
Heute haben wir mehr verloren als 1914 in der Marne-Schlacht', rief zornig Gerhard Pohl an jenem 1. April

'
In jedem Jahrhundert gibt es Zeiten, wo die Menschen ihr Antlitz verhüllen; sie vermögen nicht zu begreifen, was die Menschen gegen die Menschen taten. Aber wir dürfen die Jugend nicht mit der Vergangenheit belasten. wir müssen ihr etwas vom Licht der Zukunft zeigen.' Dieses persönliche Bekenntnis Max Taus ist zugleich das Leitmotiv seines Lebens: etwas vom Licht der Zukunft leuchtete für ihn - selbst in den dunklen Jahren - auch über dem Land, das er verlassen mußte."

Max Tau hat 1950 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten.

Sonntag, 20. Juni 2021

Lenz, Siegfried "Landesbühne"

Lenz, Siegfried "Landesbühne" [Province Stage] - 2009

Während einer Theateraufführung im Gefängnis, beschließen ein paar Gefangene, mitsamt des Theaterwagens auszubrechen. Sie enden in einem kleinen Ort, in dem sie die Gesellschaft verändern.
Aber es geht hier nicht nur um die Gefangenen, auch nicht um die Bürger des Ortes, es geht vielmehr um den Sinn des Lebens. Zumindest wenn man genau hinsieht. Eine Novelle, die sehr nachdenklich stimmen kann. Einer der ganz großen Autoren.

Klappentext: 

"Rätselhafte Dinge geschehen im Gefängnis Isenbüttel. Während einer Theateraufführung verlassen Häftlinge ungehindert das Gelände. Und kurz darauf feiert ein idyllisches Städtchen talentierte Schauspieler - die gar keine sind. Mit dem Hereinbrechen der Kunst und angetrieben von Gefühl, Leidenschaft und Phantasie entdeckt ein ganzes Gemeinwesen seine Möglichkeiten zu Größerem.
Und niemand scheint Verdacht zu schöpfen. Oder sind alle - der Intendant der Landesbühne, der Gefängnisdirektor, der Bürgermeister und die Bürger von Grünau - Teil einer grandiosen Inszenierung? Die Ausreißer selbst scheinen keine Ahnung zu haben. Werden Sie zurückkehren in ihre Zellen?
"

Siegfried Lenz hat 1988 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten.

Mittwoch, 16. Juni 2021

Bánk, Zsuzsa "Die hellen Tage"

Bánk, Zsuzsa "Die hellen Tage" [The Bright Days] - 2011

Eine (imaginäre?) Kleinstadt in Süddeutschland mit dem klangvollen Namen Namen Kirchblüt. Sie liegt in der Nähe von Heidelberg, ist aber sonst nicht weiter beschrieben. Es könnte jedes Kleinstädtchen, jedes Dorf in Süddeutschland sein, nein, es könnte jedes Kleinstädtchen, jedes Dorf in Deutschland sein.

Hier lebt Therese, genannt Seri, und erlebt ihre Kindheit gemeinsam mit ihren Freunden Aja und Karl. Sie haben alle eine liebe Person verloren, vielleicht verbindet das die sonst so unterschiedlichen Kinder.
Die Geschichte ist wunderschön zu lesen. Fast wie ein Märchen. Die Kindheit ist keinesfalls rosarot dargestellt, trotzdem kommt sie einem so vor. Wir wachsen gemeinsam mit den drei Kindern auf, begleiten sie auf ihrem Weg ins Erwachsenensein.

Das Buch enthält viele Themen, Freundschaft und Liebe, Vertrauen und Verrat, Kinder und Erwachsene, Krankheit und Tod, Probleme und deren Lösung. Wobei wir auch lernen müssen, dass sich nicht jedes Problem lösen lässt. Es wird uns keine heile Welt vorgegaukelt. Ganz im Gegenteil, im Unterton klingt immer die Tatsache mit, dass es eine heile Welt nicht gibt. Eine sehr realistische und darum großartige Erzählung mit sehr leisen Tönen.

Ich habe Zsuzsa Bánks erstes Buch "Der Schwimmer" nicht gelesen, werde das aber sicher irgendwann nachholen, weil mir ihre Erzählweise gefällt. Dafür erhielt sie 2003 den deutschen Bücherpreis.

Ach ja, und dann noch ein Nachtrag: Ich liebe die Grabinschrift, die sich Eva wünscht: "Die hellen Tage behalte ich, die dunklen gebe ich dem Schicksal zurück." Ein schöner Gedanke.

Buchumschlag:

"In einer süddeutschen Kleinstadt erlebt das Mädchen Seri helle Tage der Kindheit: Tage, die sie im Garten ihrer Freundin Aja verbringt, die aus einer ungarischen Artistenfamilie stammt und mit ihrer Mutter in einer Baracke am Stadtrand wohnt.

Aber schon die scheinbar heile Welt ihrer Kindheit in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts hat einen unsichtbaren Sprung: Seris Vater starb kurz nach ihrer Geburt, und Ajas Vater, der als Trapezkünstler in einem Zirkus arbeitet, kommt nur einmal im Jahr zu Besuch. Karl, der gemeinsame Freund der Mädchen, hat seinen jüngeren Bruder verloren, der an einem hellblauen Frühlingstag in ein fremdes Auto gestiegen und nie wieder gekommen ist.

Es sind die Mütter, die Karl und die Mädchen durch die Strömungen und Untiefen ihrer Kindheit lotsen und die ihnen beibringen, keine Angst vor dem Leben haben zu müssen und sich in seine Mitte zu begeben.

Zsuzsa Bánk erzählt die Geschichte dreier Familien und begleitet ihre jungen Helden durch ein halbes Leben: Als Seri, Karl und Aja zum Studium nach Rom gehen, wird die Stadt zum Wendepunkt ihrer Biographien - und zur Zerreißprobe für eine Freundschaft zwischen Liebe und Verrat, Schuld und Vergebung.
"

Ich lese nicht viele neue deutsche Bücher, sie werden einfach viel zu spät als Taschenbücher herausgegeben. Aber ich habe mir Zsusza Bánks Namen notiert und werde nach ihren anderen Werken Ausschau halten.

Sonntag, 13. Juni 2021

Hansen, Dörte "Mittagsstunde"

Hansen, Dörte "Mittagsstunde" [Lunchtime] - 2018

Da mir "Altes Land" (This House is Mine), das erste Buch von Dörte Hansen, so gut gefallen hatte, wartete ich schon eine ganze Weile darauf, dass "Mittagsstunde" endlich als Taschenbuch erscheint.

Dieses Buch gefiel mir fast noch besser. Ich bin zwar nicht direkt an der Nordsee aufgewachsen, aber die Geschichten, die die Autorin von Brinkebüll herzählt, hätten auch in meinem Dorf passieren können. Die Personen muss man sich nicht ausdenken, jedes Dorf hatte (hat) so seinen grumpeligen, knorrigen Opa, der keine Veränderungen wollte, seine Klatschtante, seinen Wirt, der alle kannte, den kleinen Dorfladen, wo man außer Mehl und Zucker auch noch alles andere bekam, was man nicht zu Hause selbst anbaute. Die Dorfjugend hatte so seine Treffpunkte, von denen manche Eltern nichts wussten (oder zumindest so taten als ob). Die meisten blieben auch im Dorf, heirateten vielleicht, aber auch nur vielleicht, jemandem aus dem Nachbarort und sonst jemanden, dessen Urahnen schon drei Straßen weiter gewohnt hatten. Man half sich gegenseitig, wo man konnte, man lernte zusammen, man lachte zusammen, man feierte zusammen, man trauerte zusammen.

Auch die Geschichte mit dem Plattdeutsch kommt mir sehr bekannt vor. Als ich noch klein war, konnte das jeder. Aber die ersten Eltern fingen schon an, mit ihren Kindern hochdeutsch zu sprechen, "damit sie es in der Schule leichter haben". Hatten sie nicht, ganz im Gegenteil, wenn die Eltern nicht selbst perfektes Hochdeutsch sprachen (und die meisten taten das nicht), mussten die Kinder diese Fehler wieder "verlernen". Ich bin froh, dass meine Eltern das nicht gemacht haben.

Ich hoffe, das gefällt auch denen, die in anderen Gegenden Deutschlands aufgewachsen sind und denen das Plattdeutsche nicht so geläufig ist.

Vieles erinnerte mich auch an meine Jugend, z.B. die Erzählung, wie Ingwers Mutter "… Schlager aus dem Radio, … selbst aufgenommen hatte. '... lohnt sich nicht my Darling', die ersten Takte fehlten oft, und nach dem Ende eines Liedes hörte man den abgewürgten Rundfunksprecher, wenn sie nicht schnell genug die Stopptaste gedrückt hatte. 'Das war Siv Malmkv… | man noch Träume, da wachsen noch alle Bäume'." Anders ging es damals einfach nicht, wenn man seine Lieblingsstücke hören wollte und kein Geld für die neuesten Schallplatten besaß. Ich habe wohl andere Lieder gehört, aber meine Aufnahmen waren so ähnlich. Und "Liebeskummer lohnt sich nicht" sowie "Mit 17 hat man noch Träume" kenne ich natürlich noch gut, das waren die Lieder, die meinen Eltern gefielen.

Auch die Veränderungen im Dorfleben sind wohl allüberall nachvollziehbar.

Dass das Buch gleich in so viele Sprachen übersetzt worden ist, spricht für sich. Leider mal wieder nicht ins Englische, hoffentlich kommt das bald, damit ich es auch meinen englischsprachigen Freunden empfehlen kann. Im Moment habe ich den Roman gleich an meine Schwägerin verliehen mit dem Vermerk: "Das musst du unbedingt lesen!"

Klappentext:

"Was bleibt von uns, wenn alles, was wir kannten, untergeht?

Ingwer Feddersen erkennt das Dorf, in dem er aufgewachsen ist, nicht wieder: keine Schule mehr, kein Bäcker und kein Kaufmann. Keine Störche auf dem Dach der Kirche, auf den Feldern keine Kühe, nur noch Mais und Wind. Als wäre eine ganze Welt versunken. Aber im Gasthof steht noch immer Sönke Feddersen, de Ole, stur wie ein Findling hinter seinem Tresen. Und Ingwer, de Jung, vor Jahrzehnten weggezogen, kehrt zurück. Er hat in diesem Dorf noch etwas gutzumachen.

Mit großer Wärme erzählt Dörte Hansen vom Verschwinden einer bäuerlichen Welt, von Verlust, Abschied und von einem Neubeginn
."

Ich habe vor vielen Jahren ein Buch des niederländischen Autoren Geert Mak gelesen:
"Wie Gott Verschwand Aus Jorwerd: Der Untergang des Dorfes in Europa" (NL: Hoe God verdween uit Jorwerd) (Englisch: Jorwerd: The Death of the Village in late 20th Century)

Dies ist ein Sachbuch, aber es erzählt genauso von der Veränderung, die alle Dörfer im letzten Jahrhundert mitgemacht haben, und da sowohl Joorwerd als auch Brinkebüll an der Nordsee liegen, haben sie natürlich einiges gemeinsam. Ich kann auch dieses Buch nur empfehlen.

Dienstag, 8. Juni 2021

Zweig, Stefanie "Irgendwo in Deutschland"

Zweig, Stefanie "Irgendwo in Deutschland" - Somewhere in Germany - 1996

Eine weitere großartige Beschreibung des Lebens unter anderen Umständen. Dies ist die Fortsetzung von "Nirgendwo in Afrika".

Wir wissen ja alle, dass der Krieg irgendwann zu Ende war. Und was passierte mit der Familie Redlich? Nun, der Krieg war zu Ende und Walter Redlich wollte endlich wieder in seinem Beruf arbeiten. Da er aber nur mäßig Englisch spricht und auch als Rechtsanwalt nicht woanders arbeiten kann, kehrt die Familie zurück nach Deutschland ins zerbombte Frankfurt. Das scheint so schwer wie der Umzug nach Kenia.

Das Nachkriegsland quält sich und die Redlichs auch. Es gibt immer noch Antisemitismus und Hunger, sie haben ihre ganze Familie verloren, sie müssen sich wieder auf das Leben in Europa einstellen, für die Kinder eine völlig neue und unbekannte Welt. Es ist nicht leicht, in ein vom Krieg zerrissenes Land zurückzukehren, in dem es noch viele Menschen gibt, die sie lieber nicht dort haben möchten. Das ist etwas, was ich wirklich nicht verstehe. Wie konnten die Menschen nach all dieser Zeit die Juden immer noch nicht mögen? Hätten sich nicht alle schämen müssen, zumindest diejenigen, die die Nazis unterstützten? Regina trifft viele Leute und alle schwören, dass sie nichts vom Holocaust wussten und/oder ihr erzählten, wie sie den Juden geholfen haben. Schrecklich.

Regina (na ja, das ist eine Beinahe-Biografie der Autorin, Regina ist also eigentlich Stephanie Zweig selbst) fällt es besonders schwer, sich anzupassen, aber sie wird erwachsen und beginnt, als Journalistin zu arbeiten. Es ist wirklich interessant zu sehen, wie sich die Geschichte entwickelt, wie Regina und Max aufwachsen und ihre Eltern älter werden. Ich habe dieses Buch über Jahre hinweg immer wieder gelesen, und auch weitere Bücher von Stephanie Zweig, sowohl über Afrika als auch über das Leben der Juden in Deutschland, besonders nach dem zweiten Weltkreig, also ein Thema, von dem sie sehr viel verstand.

Stefanie Zweig ist und bleibt eine meiner Lieblingsautoren. Leider verstarb sie im Jahr 2014 in Frankfurt, wo sie die meiste Zeit ihres Lebens gewohnt hat.

Leider sind außer diesen beiden Romanen über ihr Leben keine ihrer Bücher ins Englische übersetzt. Ich bin fest davon überzeugt, dass ihre anderen Bücher international genausoviel Interesse hervorrufen würden.

Buchumschlag:

"Die Fortsetzung des Welterfolgs 'Nirgendwo in Afrika'

Die Odyssee, die im Jahr 1938 Walter, Jettel und Regina während der Emigration von Oberschlesien nach Afrika führte, ist noch nicht zu Ende. 1947 kommt die Familie zurück in das Nachkriegsdeutschland der Entbehrungen und des Hungers. Regina, die Afrika nicht vergessen kann, geht heimlich mit ihren Gedanken auf Safari und singt ihrem in Nairobi geborenen Bruder Suaheli-Lieder vor ...

Mit einfühlsamen Beobachtungen und einer sehr bildhaften Sprache blättert Stefanie Zweig ein Kapitel fast schon vergessener Nachkriegsgeschichte auf und erzählt das Leben von Regina weiter, deren Geschichte durch
'Nirgendwo in Afrika' weltberühmt wurde."

In Englisch habe ich das Buch hier und hier beschrieben.