Dienstag, 31. Januar 2023

Coetzee, J.M. "Warten auf die Barbaren"

Coetzee, J.M. "Warten auf die Barbaren" (Englisch: Waiting for the Barbarians) - 1980

Wir haben dies in unserem internationalen Online-Lesekreis im Januar 2023 gelesen.

In diesem Roman werden keine Namen oder Orte erwähnt. Die Geschichte könnte also in jedem korrupten Land, in jeder Diktatur spielen. Da der Autor Südafrikaner ist, nehme ich an, dass es dort spielt.

Die Beschreibung des Protagonisten, des Magistrats in einem kleinen Posten an der Grenze des "Imperiums", ist sehr gut. Wir sehen, wie er von der Annahme, er sei ein treuer Diener einer gerechten Regierung, zu der Entdeckung übergeht, dass die sogenannten Barbaren vom Regime und denjenigen, die glauben, sie seien aus irgendeinem Grund besser als andere,
unterdrückt werden.

Wie bei so vielen Romanen, die uns von solchen Situationen erzählen, ist es ziemlich beängstigend, sich vorzustellen, wie es ist, in einer solchen Situation zu leben, in der bereits Gedanken eine Sünde sind und niemand davon wissen darf. Und man muss sich davor hüten, anderen zu helfen, besonders wenn sie auf irgendeiner der Listen der "Feinde", "Terroristen", "Barbaren", wie auch immer sie in den jeweiligen Ländern heißen, stehen.

Dieses Buch mag zwar über fünfzig Jahre alt sein, aber es ist immer noch so aktuell wie eh und je. Mir fallen ein paar Länder ein, die sich noch in einer ähnlichen Situation befinden, und ich wette, das geht anderen auch so.


Buchbeschreibung:

"Jahrzehntelang ist der Magistrat ein loyaler Diener des Staates gewesen und hat die Amtsgeschäfte der winzigen Garnisonsstadt in einem Grenzdistrikt des Reiches geführt, ohne sich von der vermeintlichen Bedrohung durch die 'Barbaren', einem benachbarten Nomadenstamm, beirren zu lassen. Als jedoch eine Spezialeinheit der Staatspolizei eintrifft, um den Nachweis für kriegerische Absichten der 'Barbaren' zu erbringen, wird er Zeuge der grausamen und ungesetzlichen Behandlung von Gefangenen. Vom Mitleid mit den Opfern aufgerüttelt, will der alte Mann ein Zeichen setzen. Gleichsam in einem Akt privater Wiedergutmachung nimmt er ein schwer misshandeltes 'Barbaren'-Mädchen bei sich auf, um es schließlich zu seinem Volk zurückzubringen. Diese Expedition brandmarkt ihn als Verräter, er wird nun seinerseits Opfer von öffentlicher Demütigung und Folter.

J. M. Coetzees früher Roman '
Warten auf die Barbaren' (1980) gilt als eines der zentralen Werke des Autors. Das mehrfach ausgezeichnete Werk stellt die Frage nach Würde und Mitverantwortung des Einzelnen unter einem Regime, das sich über Recht und Anstand hinwegsetzt."

Ich habe das englische Original gelesen und hoffe, die Übersetzung ist genauso gut.

J.M. Coetzee, "der in zahlreichen Gestaltungen das erstaunliche Wirken von Außenseitern darstellt", erhielt den Nobelpreisfür Literatur 2003.

Ich wirke an dieser Seite mit:
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Montag, 30. Januar 2023

Janson, Stefan "Griechenland. Reise-Lesebuch"

Janson, Stefan (Hrsg.) "Griechenland. Reise-Lesebuch" [Greece. Travel Reader] - 2002

Hier ist mal wieder ein Buch, das mehr verspricht, als es hält. Ich habe vor kurzem ein ähnliches Buch über die Transsibirische Eisenbahn gelesen: "Transsib-Lesebuch: Reiseerlebnisse auf der längsten Bahnstrecke der Welt" und hatte etwas ähnliches hier erwartet.

Leider war das nicht der Fall. Die ein oder andere Kurzgeschichte war in Ordnung, aber mir fehlte die Beschreibung der Menschen in Griechenland, des Lebens, auch der Landschaft. Stattdessen gibt es viel über die griechischen Götter, für die ich mich noch nie so richtig begeistern konnte.

Zum Ende hin waren ein paar Geschichten dabei, aus denen man entnehmen konnte, dass der Autor selbst in Griechenland war und mit Land und Leuten Bekanntschaft gemacht hat.

Ich habe auch eine bessere Zeitangabe vermisst. In einem Hinweis steht: "Die Beiträge sind chronologisch geordnet. Vorrangig ist das Jahr des betreffenden Aufenthaltes in Griechenland, andernfalls das Datum des Erstdrucks eines Textes. Ansonsten richtet sich die Chronologie an den Lebensdaten des Autoren aus." Ja, was denn nun? Aufenthalt, Erstdruck, Leben des Autoren? Man wird auch nicht schlauer, wenn man das Buch liest. Eine Liste am Ende mit ein oder zwei Zeilen zu den jeweiligen Autoren, wie in dem Transsib-Lesebuch, wäre sehr hilfreich gewesen.

Schade, ich war vor vielen Jahren in Kreta und habe das Land und die Leute lieben gelernt. Und ich habe schon ein paar sehr gute Bücher über Griechenland (Greece) gelesen.

Zwei Zitate will ich aber noch erwähnen und damit meinen Bericht beenden:

"Die Griechen sind ein sehr altes Volk. Sie haben viel, allzu viel in ihrer Geschichte erlebt. Der bärtige Alte meinte, Vergessenkönnen sei eine weise Kunst." Peter Bamm
"Nirgendwo sonst wird so augenfällig wie auf Kreta, dass der Begriff Geschichte wortwörtlich zu nehmen ist - Als geschichtetes Geschehen, besser noch: als geschichtete Zeit. Lage um Lage lässt sich hier die Vergangenheit abheben." Theo Sommer.

Buchbeschreibung:

"Wie ein Kaleidoskop funktioniert dieses Lesebuch mit Texten berühmter Reisender verschiedener Epochen: Je nachdem, wie der Leser es dreht und wendet, formt es immer wieder andere überraschende Ansichten und Bilder. Historische Momentaufnahmen von Leuten, Landschaften und Monumenten laden ein zum Vergleich mit modernen Schilderungen derselben oder ähnlicher Szenerien. Berichte vom Essen und Trinken, von Badefreuden und Sommerhäusern fordern zu genießender Nachahmung in Phantasie oder Wirklichkeit auf. Darüber hinaus erzählen die Text aber auch eine kleine Geschichte des europäischen Tourismus und des fremden Blickes auf Griechenland: Sehnsüchte und Erwartungen der Reisenden werden ebenso sichtbar wie Eigen- und Gewohnheiten, ihre Vorurteile und Ansprüche. Mit Wolfgang Hildesheimer Eulen nach Athen zu tragen, mit Virginia Woolf auf dem Eselsrücken zu reiten, sich mit Alfred Kerr an geharzten Wein bzw. 'Möbelpolitur' zu gewöhnen - das sind die ungewöhnlichen Reise-Lesevergnügungen, die es mit dem Buch zu erleben gibt."

Inhalt
Apostelgeschichte: Paulus in Athen
Friedrich Hölderlin: Hyperion
Edward John Trelawny: Mit Lord Byron unterwegs
Gustav Schwab: Der Triumph der Elektra
Hans Christian Andersen: Erlebnisse in Athen
Gustave Flaubert: Rhodos
Victor Hehn: Vom Wein
Ernst Curtius: Athens Klima
Jacob Burckhardt: Das Symposion
Ferdinand Gregorovius: Athenisches Land - Römische Campagna
Ferdinand Gregorovius: Athens Niedergang im Mittelalter
Alexander von Warsberg: Die Gärten des Alkinoos
Friedrich Nietzsche: Kleine Mysterienlehre der griechischen Tragödie
Bernhard von Bülow: In diplomatischem Auftrag
Joseph Maria von Radowitz: Ausgrabungen in Olympia
Karl Friedrich von Duhn: Bei der Auffindung des Hermes von Olympia
Peter Altenberg: Olympische Spiele!
Virginia Woolf: Besteigung des Pentelikon bei Athen
Gerhart Hauptmann: Auf der Akropolis
Hugo von Hofmannsthal: Die Statuen
Harry Graf Kessler: Schönheit und Religion
Andre Gide: Der Faden der Ariadne
Ludwig Curtius: Licht, Luft, Fels und Meer
Egon Friedell: Der "klassische" Grieche?
Rudolf Alexander Schröder: Odyssee und Ilias
Alfred Kerr: Kerkyra
Alfred Kerr: Gang nach Sunion
Helene von Nostiz: Nächtliches Büffet vor dem Parthenon
Hans Licht: Geselligkeit und Gasthausleben in der Antike
Julius Meier-Graefe: Griechenland-Diskurs mit Richard Strauss
Wilhelm Hausenstein: Delphi
Richard Seewald: In der Sissi-Villa
Henry Miller: Der Koloß von Maroussi
Walter Benjamin: In der Sonne
Ernst Jünger: Frühling auf Rhodos
Eberhard Rondholz: Beispiel: 10. Juni 1944
Peter Bamm: Abenteuer auf dem Weg nach Athos
Alexander Lernet-Holenia: Das Orakel von Delphi
Eckart Peterich: Im starken Licht des Himmels
Marie Luise Kaschnitz: In Aegina und Athen
Josef Mühlberger: Der Wagenlenker von Delphi
Marguerite Yourcenar: Antigone oder Die Wahl
Erhart Kästner: Ankunft in Aigina
Wolfgang Koeppen: In Athen
Hilde Spiel: Begegnungen in Griechenland
Lawrence Durrell: Gespräche auf Korfu
Rudolf Hagelstange: Ein Tag auf Mykonos
Max Frisch: Sonnenaufgang am Meer von Korinth
Wolfgang Hildesheimer: Ich trage eine Eule nach Athen
Walter Jens: Blüte im Angesicht der Nacht
Zbigniew Herbert: Die heilenden Götter
Christa Wolf: Vom Mutterrecht oder Nachdenkliches im Palast von Knossos
Theo Sommer: In einem Garten am Meer
Carl Schneider: Von Früchten, Honig, Wein und Wasser
Sten Nadolny: Hot Spot Santorin
Essay: Griechenland und wir

Samstag, 28. Januar 2023

Oelker, Petra "Das glücklichste Jahr"

Oelker, Petra "Das glücklichste Jahr. Das Leben der Eva Lessing" [The Happiest Year] - 2015

Eva Lessing wird gleich auf dem Umschlag als außergewöhnliche Frau beschrieben. Das kann man wohl sagen. Viele Frauen hatten damals ein hartes Leben und kämpften sich durch. Eva Lessing, verwitwete König, geborene Hahn) brachte nicht nur die obligatorischen acht Kinder zur Welt (und musste vier davon zu Grabe tragen), sie übernahm auch die Leitung einer fast bankrotten Firma, nachdem ihr erster Mann verstarb.

Aber dies ist nicht nur eine Biographie der Eva Lessing, es ist auch eine Beschreibung der damaligen Zeit. Ich habe wenig gelesen über Deutschland in der Mitte des 18. Jahrhunderts, hier findet sich viele Informationen dazu. Auch die Geschichte und Entwicklung Hamburgs und Wien ist enthalten.

Ihre Bekanntschaft mit und Liebe zu Gottholf Ephraim Lessing nimmt eigentlich nur einen verschwindend kleinen Teil ihres Lebens ein, aber wir lernen damit auch den großen Dichter kennen.  Obwohl ich natürlich "Nathan der Weise" gelesen habe, wusste ich dennoch sehr wenig von ihm.

Ein gutes Buch.

Buchbeschreibung:

"Das Porträt einer außergewöhnlichen Frau: Eva Lessing.

Als der Seidenfabrikant Engelbert König 1769 zu einer Reise aufbrach, bat er seinen Freund Gotthold Ephraim Lessing, sich seiner Frau und der vier Kinder anzunehmen, sollte ihm etwas zustoßen. Tatsächlich starb er wenig später in Venedig. Lessing hielt sein Versprechen, und aus der Freundschaft zu Eva König wurde schnell Liebe. Doch bis zur Hochzeit sollten noch Jahre vergehen: Eva zog nach Wien, um dort die König'schen Fabriken zu leiten.

Erst im Oktober 1776 heirateten die beiden. Das Glück währte nur kurz: Im Januar 1778 starb Eva am Kindbettfieber. Ein Schicksalsschlag, von dem Lessing sich nie wieder erholte.

Anhand von Briefen, Dokumenten und genauen Recherchen zeichnet Petra Oelker eine der größten Liebesgeschichten der deutschen Literaturgeschichte nach.
"

Von Petra Oelker habe ich bislang nur "Zwei Schwestern" gelesen, aber sie hat noch mehr Bücher dieser Art geschrieben, die jetzt auf meiner Wunschliste stehen.

Fleischhauer, Wolfram "Schule der Lügen"

 

Fleischhauer, Wolfram "Schule der Lügen" aka "Die Inderin" - In a Tender Hold - 2014

Ich habe bereits ein anderes Buch dieses hervorragenden Autors gelesen, "Das Buch in dem die Welt verschwand", ein historischer Roman über das Zeitalter der Aufklärung.

Wie sein anderes Buch ist dies ein historischer Roman über die Geschichte im Allgemeinen, aber auch über die Geschichte der Philosophie, in diesem Fall über den Einfluss der östlichen Philosophie auf Europa, darüber, wie bestimmte Richtungen eingeschlagen wurden, um die Menschen dorthin zu bringen, wo sie sie haben wollten. Die Geschichte von Edgar Rabov ist auch nicht langweilig, aber der Schwerpunkt liegt auf der Philosophie und ihrer Geschichte.

Ich habe dieses Buch sehr genossen und hoffe, weitere Bücher von Wolfram Fleischhauer lesen.


Buchbeschreibung:

"Edgar von Rabov ist weiß Gott kein Bettelstudent. Mit reichlich Apanage aus seiner adligen Familie ausgestattet, lässt es sich im Berlin der sogenannten „Goldenen Zwanziger“ mehr als gut auskommen. Das Studium der Chemie - Edgar ist Alleinerbe der verhassten väterlichen Farbenfabrik - liegt schon seit langem auf Eis, umso heftiger genießt er das heiße Berliner Nachtleben. Schier unerträglich wird die Hitze, als er in einer Februarnacht des Jahres 1926 in einer Transvestitenbar auf eine orientalische Schönheit im Gespräch mit ihrem englischen Begleiter aufmerksam wird. Gerade als Edgar den Fall als hoffnungslos abhaken will, steckt ihm die Schöne heimlich einen Zettel zu. Edgar ist im Rennen! Wäre da nicht seine restriktive Familie, die jeden seiner Schritte argwöhnisch beäugt.

Eine geifernde, monarchietreue Sippe, Nazis in den Startblöcken, indische Mystik, Theosophie, Nacktbars, Koks und Sex, dass die Ohren glühen. Mittendrin ein liebestoller Student und die betörende anglo-indische Beauty Alina. Nicht eben wenige Zutaten, aber es schmeckt! Diese nicht unkomplizierte Gemengelage nennt der Autor auf seiner Homepage „Meta-Ebene“, die all seine Romane durchziehe. In diesem Falle die Weimarer Republik, jene politische Brodelküche, die in größtes Unheil führte. 1925 haben die Verträge von Locarno Deutschland in die Schranken gewiesen, Wie viele Adlige, leisten auch die von Rabovs in der Deutschnationalen Volkspartei Widerstand gegen das Korsett, das die Alliierten Deutschland angelegt hatten. Als rechter Deutscher soll nun auch Edgar seinen Beitrag leisten, dieses Korsett zu sprengen. Doch ist der längst indisch angehaucht!

Wie ein geduldiger Geschichtslehrer führt Fleischhauer durch die politischen Wirren jener Zeit und entwirft ein hervorragend gezeichnetes Berlin als neblig dekadentes Lichterreich. Die schmachtende Liebesgeschichte, Fleischhauers Hauptbühne, verweist auf die zahlreichen philosophisch geistigen Strömungen, die das kulturelle Leben damals beherrschten: Die Suche nach dem Göttlichen und dem Ich, die unzählige Sekten und Heilslehren ins Leben rief. Edgars persönliche Suche gilt dem Heil vor seiner politisch verirrten Familie und der Identität der mysteriösen Alina. Durch sie stößt er auf das Zauberwort, das ihm eine gänzlich neue Welt eröffnen sollte: Vipàssana! - Edgar von Rabov tritt eine lange Reise an, an deren Ende die Schule der Lügen ausgedient hat.
Ravi Unger"

Freitag, 27. Januar 2023

Ulitzkaja, Ljudmila "Medea und ihre Kinder"

Ulitzkaja, Ljudmila "Medea und ihre Kinder" (Russisch: Медея и её дети/ Medeja i eë deti) - Medea and Her Children - 1996

Dieses Buch wurde uns von einem Lesekreismitglied vorgeschlagen. Es hieß, hier würde die ukrainische Geschichte anhand von einer Familie von der Krim dargestellt. Nun ja, nach der Beschreibung hatte ich mir etwas anderes vorgestellt und war froh, vorher "Ukraine verstehen" von Steffen Dobbert gelesen zu haben. Ich hatte zwar schon viel über die Ukraine gehört, auch von den Problemen mit Russland, lange bevor diese zuerst mal die Krim annektierten und dann über das Land herfielen, aber es war gut, noch mal Details mitzubekommen, die auch für das Verständnis dieses Buches beigetragen haben.

Medea ist die gute Seele der Familie Sinopli. Sie lebt auf der Krim, wo ihre Vorfahren herkamen, und jeden Sommer fällt die Familie ein. Diese sind mittlerweile nicht nur über die ganze Ukraine und sonstige ehemalige Länder der Sowjetunion verstreut, sie haben auch, wie das so üblich ist in großen Familien, alle irgendwelche unterschiedlichen Probleme und Beweggründe, die sie zu Tante Medea führen. Die Familie hat auch viele verschiedene Ursprünge. Während sie sich wohl in erster Linie als griechisch beschreiben würde, kommen die Vorfahren auch aus vielen anderen Gegenden.

Zu Anfang des Buches wird uns ein Familienstammbaum gezeigt, der hätte meines Erachtens etwas eingehender sein können, zumal auch immer wieder Nachnamen, Vaternamen, Spitznamen usw. benutzt werden, was zu Verwirrungen führen kann. Außerdem erwähnt die Autorin im Vorwort, dass sie von ihrer Familie erzählt, aber ich denke, es handelt sich hier eher um einen Roman, der auf ihrer Familie basiert.

Die verschiedenen Personen sind sehr gut beschrieben, man fühlt sich irgendwie mitten in der Familie. Insofern ist es ein hervorragendes Buch. Ich hatte von Ljudmila Ulitzkaja bereits "Das grüne Zelt" gelesen und fand dieses einfach bemerkenswert. Wahrscheinlich habe ich auch zu viel Erwartung in dieses Buch gesteckt, oder war falsch vorbereitet, aber ich hatte nicht das gleich Gefühl wie bei dem ersten Buch. Und die Lesekreismitglieder waren fast alle derselben Meinung. Aber das wird mich nicht davon abhalten, weitere Bücher dieser Autorin zu lesen.

Buchbeschreibung:

"Ein Sommer auf der Krim

Jedes Jahr im April herrscht wildes Chaos im Haus von Medea, wenn ihre Verwandtschaft aus aller Welt zu ihr auf die Krim strömt. Ljudmila Ulitzkajas beeindruckendes Epochengemälde zeigt die Halbinsel so, wie sie schon immer war: weltoffen und vielfältig. Ein Familienroman, der die unerschütterliche Hoffnung offenbart, Zerwürfnisse überwinden zu können.
"

Donnerstag, 26. Januar 2023

Müller, Herta "Heute wär ich mir lieber nicht begegnet"

 

Müller, Herta "Heute wär ich mir lieber nicht begegnet" - The Appointment - 1997

Wir hatten das Glück, dieses Buch mit einem rumänischen Mitglied unseres Lesekreises diskutieren zu können, die uns einige Informationen aus erster Hand geben konnte.

In diesem Roman schildert Herta Müller den Weg einer Rumänin zu einem Termin bei der "Securitate", der Geheimpolizei. Das ganze Buch findet in den 90 Minuten statt, die sie braucht, um dorthin zu gelangen. Während sie mit der Straßenbahn fährt, reflektiert sie ihr Leben und was zuvor passiert ist.

Natürlich haben nicht alle in Rumänien die gleiche Erfahrung gemacht, besonders die jüngere Generation. Einige der schlimmsten Teile für alle waren die Rationalisierung der Lebensmittel, das Schlangestehen für Grundbedürfnisse, die Träume von Reisen, die Zensur. Es gab hauptsächlich klassische Bücher zu lesen oder nationalistische, alles, was verkauft wurde, war sowieso rumänisch. Sogar Filme waren verboten. Wenn man Glück hatte und einen Verwandten oder Freund hatte, der herumkam, bekam man vielleicht Kaffee etc. Die "Securitate", die Geheimpolizei, wusste alles. Man wurde zur Zusammenarbeit erzogen. Die Leute gerieten viel unter Druck. Man wurde zum Mitglied der kommunistischen Partei ernannt. Es schien nicht viel von einem Untergrund zu geben. Die Akten der Geheimpolizei wurden erst vor etwa 15 Jahren geöffnet.

Die meisten von uns wollten dieses Buch unbedingt lesen. Die Botschaft war, sich selbst zu lieben, und das ist so wichtig. Wir mochten den Stil, auch wenn einige es schwierig zu lesen fanden, zu verstehen, dass es im ganzen Buch um eine kurze Zugfahrt ging.

Einige Kommentare unserer Leserinnen: Die Autorin sieht die Welt durch ein Kaleidoskop, nichts hängt zusammen, es gibt keine Staatstrauer. Dies ist eine wunderbare Darstellung über die Unmenschlichkeit, die Verantwortungslosigkeit dieses Regimes, sehr kraftvoll. Es sind die kleinen Momente.
Sie alle waren Opfer. Wir fanden das sehr lehrreich.
Die Autorin beschreibt eine dunkle Niedergeschlagenheit, die einem sehr zu denken gibt.
Ich habe noch
nie etwas mit einem solchen Gefühl der Hoffnungslosigkeit gelesen. Es muss eine erlösende Antwort geben.
In ihrem Leben dreht sich alles um Selbstbeherrschung. Es ist die Zwanghaftigkeit/Besessenheit, die die einzige Kontrolle in ihrem Leben ist.
Das war eine perfekte Art zu zeigen, dass sie verrückt geworden ist. Es ist sehr wichtig, über Diktaturen zu schreiben.

Buchbeschreibung:

"'Ich bin bestellt.' Eine junge Frau in einer Großstadt in Rumänien auf dem Weg zum Verhör beim Geheimdienst. Sie hat diese Fahrt mit der Straßenbahn schon oft machen müssen, doch diesmal hat sie aus einer Vorahnung heraus Handtuch, Zahnpasta und Zahnbürste eingepackt. Unterwegs lässt sie ihr Leben an sich vorüberziehen: die Kindheit in der Provinz, die halberotische Gier nach dem Vater, die Deportation der Großeltern, das sporadische Glück, das ihr mit Paul gelingt, auch wenn sein Trinken für ihre Liebe eine Last ist. Außen: starre Uhrzeiten, Haltestellen, ein- und aussteigende Personen, vorbeiziehende Straßen. All dies soll ablenken und führt doch immer wieder zurück zu: 'Ich bin bestellt.'

Doch an diesem Tag hält der Fahrer an der Station, an der sie aussteigen muss, nicht an. Und sie beschließt zum ersten Mal, nicht zum Verhör zu gehen.
"

Wir haben dies im Februar 2003 in unserem internationalen Lesekreis besprochen.

Herta Müller ist im deutschsprachigen Teil Rumäniens aufgewachsen. Sie ging 1987 nach Deutschland, aber ihre Bücher wurden damals nicht in Rumänien veröffentlicht.

Herta Müller "die mittels Verdichtung der Poesie und Sachlichkeit der Prosa Landschaften der Heimatlosigkeit zeichnet" erhielt den Nobelpreis für Literatur 2009.

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Mittwoch, 25. Januar 2023

Ondaatje, Michael "Der englische Patient"

Ondaatje, Michael "Der englische Patient" (Englisch: The English Patient) - 1992

Ich habe "Anil's Ghost" (Anils Geist) und "Warlight" (Kriegslicht) von Michael Ondaatje gelesen, die mir beide sehr gut gefallen haben. Ich hatte mich schon seit Ewigkeiten darauf gefreut, dieses Buch zu lesen, und als ich kürzlich darauf stieß, beschloss ich, dass es endlich an der Zeit war, es zu lesen.

Es mag einen Grund gegeben haben, warum ich es nicht früher angegangen bin. Ich war damit nicht so zufrieden wie mit den anderen. Vielleicht hätte ich alleine deshalb davon Abstand halten sollen, weil es den Booker Prize bekommen hat, ich mag die selten und ich habe keine Ahnung warum.

Es war teilweise ziemlich verwirrend. Von wem spricht der Autor? Zu welcher Zeit spricht er? Vor dem Krieg? Während des Krieges? Nach dem Krieg? Spielt die Handlung gerade in Italien oder in Ägypten, in Kanada oder Indien? Und warum kommt dieses englische Paar in der Geschichte vor? Ich weiß, ich weiß, sie haben den englischen Patienten schon einmal getroffen, aber es ist trotzdem seltsam, es passt irgendwie nicht.

Ich habe eine Rezension gesehen, in der jemand sagte, die Leute in dem Buch würden nicht wie die Menschen in den 1940er Jahren sprechen. Das könnte auch einer der Gründe sein.

Was mich aber am meisten gestört hat, war, dass man die Leute nicht richtig kennengelernt hat, sie bleiben seicht, trivial, oberflächlich.

Diese Geschichte hätte mir vielleicht mehr Spaß gemacht, wenn ich seine anderen Bücher nicht gelesen und geliebt hätte und daher einen brillanten Roman erwartet hätte. Dies ist ein guter Roman, aber das ist alles. Also werde ich wohl noch eine Weile warten, bis ich das nächste Buch dieses Autors lesen werde.

Buchbeschreibung:

"
Oberflächlich gesehen erzählt der Roman die Geschichte von vier Personen, die 1945 bei Kriegsende in einer zerbombten, toskanischen Villa gestrandet sind und versuchen, wieder ein normales Leben aufzunehmen. Da ist Hana, eine kanadische Krankenschwester, die sich um den verbrannten Mann kümmert, der mit seinem Flugzeug in der Wüste abgestürzt war. Täglich wäscht sie seinen Körper und unterhält sie beide mit dem Vorlesen von Rudyard Kipling und Stendhal.

Wenige Tage nach ihrem Einzug in die verfallene Villa taucht Caravaggio - der Dieb - auf, dem die Deutschen die Daumen abgehackt haben. Hana und Caravaggio kennen sich noch aus der Zeit vor dem Krieg. Der Vater Hanas war mit Caravaggio befreundet. Als Caravaggio hört, dass sie mit einem Verwundeten allein in der Villa lebt, beschließt er zu ihrem Schutz zu bleiben. Zu diesen Dreien gesellt sich Kip, ein junger Inder, der ein Meister im Bomben entschärfen ist - als in Hiroshima und Nagasaki Bomben fallen, mit denen auch er es nicht mehr aufnehmen kann, gibt er sich geschlagen und kehrt verzweifelt in seine Heimat zurück. Jede der Personen ist in ihrer Biographie gebrochen, wurde tief verletzt durch den Krieg. Sie treffen sich an diesem Ort der Welt, um auszuharren, zu verschnaufen, Luft zu holen und um letztlich wieder auseinander zu gehen.

Michael Ondaatje schildert in Rückblenden und Traumsequenzen die erlittenen Wunden und Demütigungen. Doch keine Angst, es handelt sich dabei nicht um einen jener modernen Romane, bei denen der Leser ein riesiges Puzzle in die Hand bekommt, das schon der Autor nicht zusammensetzten vermochte und aus dem der Leser nun einen verständlichen, tiefsinnigen Text kreieren soll.

Bruchstückhaft erzählt der '
englische Patient' Hana und Caravaggio, wie er in der libyschen Wüste mit seinem Flugzeug abstürzte, dabei seine große Liebe verlor und sich nun selbst nur durch Morphium an sein Leben erinnert. 'Manche der Geschichten, die der Mann ruhig in das Zimmer hinein erzählt, gleiten wie Falken von Schicht zu Schicht.'

Es ist schon etwas ganz Besonderes, wie Ondaatje über die Wüste schreibt, das Leben der Nomadenstämme, wie die Arzneifläschchen am Körper des Medizinmannes klirren, so dass seine Erscheinung an einen Erzengel erinnert. Oder die Wüstenwinde, wie sie sich ankündigen, den Tag verhüllen und mit gewaltigen Sandmassen vorbeirauschen, tänzeln oder sich auslöschen - sich auflösen, mit allem, was sie eingehüllt haben. Diese Szenen bleiben beim Leser wie auch beim Kinofreund unvergessen. Der Roman ist keine einfach gestrickte Unterhaltungslektüre, nichts geschieht zufällig, alles wurde von Ondaatje wohl komponiert. Er verlangt jedoch von seinem Leser, dass er genau hinhört, konzentriert liest. Nur so entfaltet das Buch seine unvergleichliche Poesie. In der Malerei wäre dieses Werk ein Bild aus weichen, hellen Pastelltönen mit fein verwischten Konturen, gerade noch erahnbar unter einer dichten Schicht aus Staub.
"

Ich habe das englische Original gelesen.

Dienstag, 24. Januar 2023

Goldmann, Klaus; Wermusch, Günter "Vineta"

Goldmann, Klaus; Wermusch, Günter "Vineta. Die Wiederentdeckung einer versunkenen Stadt" [Vineta. The Rediscovery of a Sunken City] - 1999

Es ist schon eine Weile her, seitdem ich dieses Buch gelesen habe. Vorher hatte ich noch nie von Vineta gehört. Diese sagenhafte Stadt soll an der Ostseeküste in Vorpommern gelegen haben. Laut einer Sage, ging sie in einer Sturmflut unter. Vorher sollen die Menschen durch Erscheinungen gewarnt worden sein, zuerst tauchte die Stadt als Fata Morgana über dem Meer auf, dann kam eine Wasserfrau und weissagte:

"Vineta, Vineta, du rieke Stadt, Vineta sall unnergahn, wieldeß se het väl Böses dahn." (Vineta, Vineta, du reiche Stadt, Vineta soll untergehen, weil sie viel Böses getan hat.)

Eine modernere Art Sodom und Gomorrha also.

Tatsächlich gibt es aber Hinweise, dass es diese Stadt gegeben haben soll. Und das ist ja auch möglich, zumindest dass eine Stadt durch eien Sturmflut dahingefegt wird. Ob man der Sage glauben soll, ist eine ander Sache.

Lange ist man davon ausgegangen, dass sie auf Usedom lag, aber auch andere Orte an der Ostsee schienen in Frage zu kommen.

Die beiden Autoren haben sich umgehört und sind zu dem Schluss gekommen, dass es sich um die Kleinstadt Barth, westlich von Stralsund, handeln muss. Aufgrund von Bodenfunden war die im Mittelalter dicht besiedelt, und man fand Münzen aus Westeuropa, Nordafrika und dem Nahen Osten in der Umgebung.

Ob das jetzt der wirklich endgültige Platz der sagenumwobenen Stadt ist, ob sie tatsächlich existiert hat und es nur eine Sage ist, das kann ich nicht beurteilen.

Aber das macht auch nichts. Das Buch liest sich jedenfalls wie ein Krimi.

Buchbeschreibung:

"Vor etwa 850 Jahren soll die sagenumwobene Stadt Vineta in der Ostseeküste versunken sein. Die einst größte Stadt Europas galt wegen ihres unermeßlichen Reichtums und ihrer Macht als das 'Venedig des Nordens'. Wie konnte eine solch große und prächtige Stadt plötzlich vom Erdboden verschwinden? Folgt man der Sage, könnte eine Sturmflut Vineta vernichtet haben. Nach einer anderen Auffassung besteht die Stadt unter dem Namen Wollin allerdings heute noch. Klaus Goldmann und Günter Wermusch präsentieren nach mehrjähriger Recherche und Spurensicherung eine neue, aufsehenerregende Erklärung."

Montag, 23. Januar 2023

Suttner, Bertha von "Die Waffen nieder!"

Suttner, Bertha von "Die Waffen nieder!" - Lay Down Your Arms! oder Down with Weapons! - 1889

Ein Geschenk von einer lieben Freundin, die weiß, was ich schätze. Auf dem deutschen Buchumschlag heißt es in der Beschreibung: "Der Roman für den Frieden".

Und so ist es.
Bertha von Suttner inspirierte Alfred Nobel 1901, den Friedensnobelpreis in die verschiedenen Kategorien aufzunehmen. Vier Jahre später erhielt sie ihn als erste Frau. Und wohlverdient.

Der Name der Protagonistin unterscheidet sich von dem der Autorin, dennoch wird das Buch immer als Autobiografie bezeichnet. Bertha von Suttner wuchs in einem ähnlichen Umfeld auf wie ihre Martha Althaus. Und zur gleichen Zeit. Sie lebte in einer Umgebung, in der Krieg etwas war, das die Menschen nicht nur akzeptierten, sondern sich darüber freuten, viele Männer in ihrer Umgebung, Adlige wie sie selbst, waren Soldaten, viele Frauen Ehefrauen von Soldaten. Und es war in der Gesellschaft klar, dass auch Kinder zu Soldaten erzogen werden sollten, die für ihr Land zu kämpfen hatten.

Bertha von Suttner lebte von 1843 bis 1914, starb also nur einen Monat vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Es war wahrscheinlich gut, dass sie das nicht mehr erlebte, obwohl ich sicher bin, dass sie wusste, was kommen würde. Ich habe gerade erst ein Buch über das Jahr 1913 gelesen (1913: Der Sommer des Jahrhunderts von Florian Illies), und und die meisten Leute hatten keine Ahnung, obwohl ich sicher bin, dass die Autorin sich dessen bewusst war.

In ihrem Buch schreibt sie über die Schrecken des Krieges, nicht nur was die Soldaten durchmachen, sondern vor allem, was ihre Angehörigen erleiden müssen. Ihr Buch war ein Riesenerfolg, sie schien nicht die einzige zu sein, die dachte, diese Welt wäre ohne Kriege besser dran. Ich stimme ihr vollkommen zu, aber wir haben immer noch nichts gelernt.


Bertha von Suttner war wohl eine der ersten Pazifistinnen. Leo Tolstoi verglich ihren Roman mit dem von "Onkel Toms Hütte" (Uncle Tom’s Cabin), das gleiche Ergebnis für Krieg als für Sklaverei. Ich wünschte, er hätte Recht gehabt.

Sie gründete auch die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen.

Buchbeschreibung:

"Martha ist nicht nur jung, reich und hübsch. Sei denkt selbstständig und hat einen starken Willen. Nach einer kurzen, glücklichen Ehe mit einem Husarenleutnant löst sie sich allmählich von den Konventionen ihrer Herkunft. Gegen den Widerstand des Vaters heiratet sie Baron Tilling und findet in ihm einen Freund und geistigen Partner auch in ihrer Initiative für den Frieden. Doch Friedrich von Tilling muß ins Feld. Angst Bedrohung im Wochenbett, Vermögensverlust und Cholera brechen in Marthas Leben ein - und immer wieder der Krieg...

'Die Waffen nieder!' - ein Titel, der nie zeitgemäßer war. Gleich, ob man die Friedensbewegung für unrealistisch, romantisch oder für sehr notwendig hält, Kriege sind stärker denn je eine Bedrohung der Menschheit, mit Waffen wie nie zuvor. Dieser Roman ist mehr noch als ein Manifest gegen den Krieg. Es ist zugleich ein Meisterwerk der Erzählkunst, spannend, ergreifend un von aktueller Frische - aus der Feder einer Frau, die sich selbst ebenso kämfperisch wie von versöhlichem Geist getragen für die Friedensbewegung einsetzte.

Tolstoi in einem Brief an Bertha von Suttner: "Der Abschaffung der Sklavernei war das berühmte Werk einer Frau, H. Beecher-Stowe, vorausgegangen. Gott möge es so fügen, daß die Abschaffung des Krieges Ihrem Werke folge."


Bertha von Suttner erhielt den Friedensnobelpreis 1905 "in Würdigung ihres unermüdlichen Einsatzes um Frieden und Abrüstung."

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Samstag, 21. Januar 2023

Stratmann, Cordula "Sie da oben, er da unten"

Stratmann, Cordula "Sie da oben, er da unten" - She Up There, He Down There - 2010

Warum nur, warum, lasse ich mich immer wieder dazu hinreissen, deutsche "komische" Bücher zu lesen. Ich weiß, in diesem Fall, weil ich Cordula Stratmann mag. Ich werde sie auch weiterhin mögen, wenn ich sie im Fernsehen sehe, aber ein Buch von ihr werde ich so schnell wohl nicht wieder in die Hand legen.

Warum muss ein deutscher Autor immer wieder nur totalen Blödsinn schreiben und so tun, als sei er/sie dümmer als in Wirklichkeit. Wollen die Leute wirklich so etwas lesen? Ich nicht.

Buchbeschreibung:

"Totsein hatte sie sich immer anders vorgestellt. Das ist ja doch etwas ganz Spezielles. Und der Weg dahin: Ausgerechnet Dieter, ihr Dieter, der nie in die Puschen kommt, ist ihr nach zig Jahren Ehe so mir nichts dir nichts an die Gurgel gesprungen! Dann liegt man plötzlich erwürgt im Flur - und gerät natürlich ins Grübeln: Wie ist das überhaupt geregelt da oben im Himmel, mit dem Sein, ähm Nichtsein? - Bestens, darf Sabine nach unappetitlicher Zwischenlagerung bei der Gerichtsmedizin feststellen. Sogar so gut, dass man bald seine Rachegelüste gegenüber mörderischen Gatten vergisst. Und wen man hier so alles kennenlernt...

Da unten realisiert Dieter in der Zwischenzeit: Wer keine echten Steherqualitäten hat, der sollte die Finger vom Töten lassen! Man hat in der Zeit danach so viel Hudelei, das sollte man sich vorher wirklich ganz genau überlegen ...

Zu den Klängen der 'Never Comebacks' und 'Forever Gones' jagt da oben währenddessen ein Fest das nächste. Nur mit der Liebe scheint es im Himmel auch nicht einfacher zu sein als auf der Erde: Da vergeigt einem Mozart schon mal persönlich die Stimmung und bei ihrem alten Schwarm Jens kommt Sabine auch nicht so richtig zum Zuge...
"

Freitag, 20. Januar 2023

Sankovitch, Nina "Tolstoi und der lila Sessel"

 

Sankovitch, Nina "Tolstoi und der lila Sessel" (Englisch: Tolstoy and the Purple Chair: My Year of Magical Reading) - 2010

Ich habe dieses Buch schon eine ganze Weile auf meinem SUB. Ich liebe Bücher über Bücher, ich liebe Listen, besonders von Büchern, aber irgendwie hat dieses es nie ganz oben auf meinen Stapel geschafft.

Bis jetzt.

Was hat mir an dem Buch gefallen? Die Tatsache, dass Bücher für uns da sind, dass sie uns in schwierigen Situationen helfen können. Ich wusste das schon und ich habe es selbst erlebt. Bücher haben mir sehr geholfen.

Wohlgemerkt, ich habe das Buch nicht deshalb gekauft, sondern weil es ums Lesen ging.

Nina Sankovitch hat in einem Jahr 365 Bücher gelesen. Ich hätte es nicht gemocht, an einem bestimmten Tag irgendein Buch beenden zu müssen und keinen meiner geliebten Wälzer zu lesen, aber das schien sie nicht zu stören.

Ich fand es gut, dass sie andere Bücher erwähnte, Bücher, die sie in diesem Jahr nicht gelesen hatte, die ihr aber etwas bedeuteten.

Ich würde die Lektüre jedem empfehlen, der in einer Situation feststeckt und nicht alleine herauskommt. Diese Autoren helfen sehr. Und ich spreche nicht von diesen Selbsthilfebüchern, sie machen mich oft noch depressiver, ich spreche von Büchern, die einem Spaß machen, egal ob Sachbuch oder Belletristik, Liebesromane, Science-Fiction, Fantasy (die letzteren alle Genres, die mag ich nicht), historische Romane oder alles, worauf man gerade Lust hat. Sie helfen, glaubt mir.

Es gibt einige Passagen, die mich nachdenklich gemacht haben. Die Autorin erzählt uns von einem Geist in einer
Dickens-Geschichte, der einem die Erinnerung nehmen wird, und die Antwort "Erinnerung ist mein Fluch, und wenn ich meinen Kummer und mein Unrecht vergessen könnte, würde ich es tun." * Ich bezweifle, dass ich dieses Angebot annehmen würde, denn mit all den schlechten Erinnerungen werden auch viele der guten verschwinden. Wie in Ninas Fall ist der Verlust ihrer Schwester schrecklich, aber die Erinnerungen, die sie mit ihr teilt, sind wunderbar, und würde sie sie auch verlieren wollen? Wahrscheinlich nicht.

Und dieses, ein altes arabisches Sprichwort: "Wer ein Buch verleiht, ist ein Idiot. Wer das Buch zurückgibt, ist ein größerer Idiot." * Okay, nennt mich einen Idioten, ich habe mein ganzes Leben lang Bücher verliehen, ich denke, wir sollten unseren Reichtum teilen. Ich stimme eher dem Rat von Henry Miller zu (der auch im Buch erwähnt wird): "Wie Geld müssen Bücher in ständiger Zirkulation gehalten werden, verleiht und leiht das Maximum - sowohl von Büchern als auch von Geld! Aber besonders Bücher, denn Bücher repräsentieren unendlich mehr als Geld. Ein Buch ist nicht nur ein Freund, es macht dir Freunde. Wenn du ein Buch mit Geist und Seele besessen hast, bist du bereichert. Aber wenn du es weitergibst, bist du dreifach bereichert." Definitiv.

Aus Cornelia Funkes "Tintenherz" (
Inkheart): "Bücher liebten jeden, der sie öffnete, sie gaben einem Geborgenheit und Freundschaft und verlangten nichts dafür; sie gingen nie weg, nie, auch nicht, wenn man sie schlecht behandelte. Liebe, Wahrheit, Schönheit, Weisheit und Trost gegen den Tod. Wer hatte das gesagt? Noch jemand, der Bücher liebte." Ja, Bücher lieben uns immer, sie werden uns auf einen neuen Weg schicken, sie werden uns unterhalten, sie werden uns etwas beibringen, sie sind für uns da.

Elizabeth Maguire fragt: "Hast du jemals ein gebrochenes Herz, ein Buch fertig zu schreiben? Hat dir ein Autor noch lange ins Ohr geflüstert, nachdem die letzte Seite umgeschlagen ist?" Wie kann jemand zu diesen Fragen nein sagen?

Etwas, das nichts mit Lesen zu tun hat, aber immer wieder gesagt werden muss, ein Zitat von
Kurt Vonnegut: "Krieg ist Mord". Dagegen kann niemand etwas sagen.

"Lies ein Buch, um herauszufinden, warum wir in den Krieg ziehen, um zu erfahren, was uns zur Gewalt treibt", ist eine gute Antwort, an die die Autorin, wie so oft bei uns allen, erst nach einer Diskussion dachte, vermute ich. Aber es ist der beste Weg, darüber zu lernen und zu versuchen, andere davon zu überzeugen, dass es dumm ist, jemanden zu töten, egal aus welchem Grund.


"Bücher sind die Waffe gegen die Klage, dass 'am Ende alles vergessen ist'." Ja, Bücher erinnern uns, Bücher lehren uns alles, wir müssen es nicht erst selbst erleben, wir können wirklich mit jemandem durch ein Buch mitfühlen.

Und schließlich ein Zitat von
Leo Tolstoy, einem der größten Autoren aller Zeiten: "Der einzige Sinn des Lebens besteht darin, der Menschheit zu dienen." Dem ist nichts hinzuzufügen.

* Alle Zitate wurden von mir aus dem Englischen übersetzt.

Nina Sankovitch hat eine Webseite.
Und hier hat sie einige Empfehlungen, wie man den ganzen Tag liest.

Ich werde nicht alle Bücher hier aufzählen, die sie gelesen hat, die ganze Liste ist hier.

Ich werde jedoch alle ihre Bücher, die ich auch gelesen habe, auflisten, damit jeder nachsehen kann, was ich dazu zu sagen habe.

Dasselbe gilt für die Bücher, die sie erwähnt, ich füge am Ende eine Liste aller Bücher an, die ich gelesen habe.

Buchbeschreibung:

"Mehr als 2,5 cm dick darf es nicht sein. Aber das ist auch daseinzige Ausschlusskriterium. Ob Krimi, Kochbuch, Klassiker - oder der aktuelle Topseller: Nina Sankovitch, Tochter polnischer US-Einwanderer, ist mit Büchern aufgewachsen. Und entdeckt nun, nach dem Tod ihrer geliebten Schwester, die Literatur ein zweites Mal für sich: als Trost- und Kraftspenderin. Zwischen Wäschebergen, Kindergeschrei und Supermarkt nimmt Nina sich Auszeiten - und entlockt jedem Buch ein anderes Geheimnis. Die Eleganz des Igels, Twilight oder Englische Liebschaften, Toni Morrison, Julian Barnes oder Leo Tolstoi - Lesen bedeutet pures Lebensglück: und einmal am Tag den Moment, bei dem man ganz bei sich ist."

Gelesene Bücher:
Achebe, Chinua "Things Fall Apart" (The African Trilogy #1) - Okonkwo oder Das Alte stürzt/Alles zerfällt - 1958
Adams, Richard "Watership Down" - Unten am Fluss - 1972
Adiga, Aravind "The White Tiger" - Der weiße Tiger - 2008
Barbery, Muriel "The Elegance of the Hedgehog" (F: L’Elégance du hérisson) - Die Eleganz des Igels - 2006
Berry, Wendell "Hannah Coulter" - Hannah Coulter - 2004
Butler, Octavia E. "Kindred" - Vom gleichen Blut - 1979
Chevalier, Tracy "Falling Angels" - Wenn Engel fallen - 2001
Cleave, Chris "The Other Hand" (US: Little Bee) - Little Bee - 2008
Coetzee, J.M. "The Master of Petersburg" - Der Meister von Petersburg - 1994
Danticat, Edwidge "Breath, Eyes, Memory" - Atem, Augen, Erinnerungen - 1994
Douglass, Frederick "Narrative of the Life of Frederick Douglass, an American Slave" - [kdÜ] - 1845
Ephron, Nora "I Feel Bad About My Neck And Other Thoughts on Being a Woman" - Der Hals lügt nie. Mein Leben als Frau in den besten Jahren (Kurzgeschichten) - 2006
Funke, Cornelia "Inkheart" - Tintenherz (dt.) - 2003
Morrison, Toni "A Mercy" - Gnade - 2008
Shaffer, Mary Ann & Barrows, Annie "The Guernsey Literary & Potato Peel Society" - Deine Juliet - 2008
Tóibín, Colm "Brooklyn" - Brooklyn - 2009
Walls, Jeannette "The Glass Castle" - Schloss aus Glas - 2005

Nicht viele der 365 Bücher, die sie gelesen hat, aber andererseits hat sie auch nicht von vielen meiner Bücher gesprochen. ;)

Erwähnte Bücher:
Christie, Agatha "And then there were none" - Und dann gabs keines mehr - 1939
Dickens, Charles "A Christmas Carol" - Eine Weihnachtsgeschichte - 1843
- "A Tale of Two Cities" - Eine Geschichte aus zwei Städten - 1859
Fitzgerald, F. Scott "The Great Gatsby" - Der Große Gatsby - 1925
Gilbreth, Frank + Gilbreth Carey, Elizabeth "Cheaper by the Dozen" - Im Dutzend billiger - 1948
Gordimer, Nadine "Burger's Daughter" - Burgers Tochter - 1979
Greene, Graham "The End of the Affair" - Das Ende einer Affäre - 1951
Kingsolver, Barbara
McEwan, Ian "Atonement" - Abbitte - 2001
Schlink, Bernhard "The Reader" - Der Vorleser (dt.) - 1994
Trollope, Anthony "Barchester Chronicles" - Die Chroniken von Barsetshire - 1855-67

Ich habe das englische Original gelesen und hoffe, die Übersetzung ist genauso gut.

Donnerstag, 19. Januar 2023

Harris, Joanne "Fünf Viertel einer Orange"

Harris, Joanne "Fünf Viertel einer Orange" (Englisch: Five Quarters of the Orange) - 2001

Ich finde dieses Buch hervorragend.

Die Geschichte der Familie, die Geschichte, die Hauptfigur, die versucht, alles zu verarbeiten, was in ihrer Vergangenheit passiert ist.

Dieses Buch hat viele Themen, Geschichte, Rezepte, Familientragödien, Mutter-Tochter-Beziehungen, Beschreibungen des kleinen Dorflebens, obwohl dies in Frankreich spielt, denke ich, es trifft überall auf der Welt zu.

Mir hat dieses Buch besser gefallen als "
Chocolat" (Chocolat) , obwohl ich denke, dass ich einfach zu viel von diesem erwartet habe, wegen all des Lobes, das es damals erhalten hat. Ich habe auch "Coastliners" (Die blaue Muschel) und "Blackberry Wine" (Wie Wilder Wein) sowie noch ein paar andere Bücher dieser Autorin gelesen.

Darüber haben wir im Februar 2003 in unserem
internationalen Lesekreis gesprochen.

Buchbeschreibung:

"Als Framboise mit Anfang fünfzig in ihre Heimat zurückkehrt, wird ihr erneut bewusst, dass sie dort bereits als Kind eine Außenseiterin gewesen war. Doch sie will es jetzt noch einmal wissen: Mit den Rezepten aus dem Buch ihrer Mutter gewappnet eröffnet sie in dem kleinen Ort eine Creperie. Ihr Neffe Yannick gönnt ihr jedoch den Erfolg nicht und versucht, sie um die geheimen Rezepte zu erpressen. Da beschließt Framboise die Geschichte ihrer Kindheit zu erzählen - auch, um jenen dunklen Geschichten etwas entgegenzusetzen, die sich seit damals um das Leben ihrer Mutter ranken: Denn warum wurde sie des Mordes an dem Deutschen Tomas verdächtigt, mit dem sich die ganze Familie angefreundet jatte, damals im Krieg? Und warum weigern sich die Dorfbewohner bis heute, die Wahrheit zu erkennen?

Framboise wird nur zu bald klar, dass in dem kleinen französischen Dorf an der Loire Kleingeist und Missgunst ihr Unwesen treiben...
"

Ich habe das englische Original gelesen und hoffe, die Übersetzung ist genauso gut.

Mittwoch, 18. Januar 2023

Feyl, Renate "Die profanen Stunden des Glücks"

Feyl, Renate "Die profanen Stunden des Glücks" [The Mundane Hours of Happiness] - 1996

Ich bin ja ein großer Fan von Jane Austen und bewundere immer wieder ihre Ausdauer, ihren Mut, ihre Bücher zu veröffentlichen zu einer Zeit, als man noch dachte, Frauen könnten "so etwas" sowieso nicht. Und hier ist eine deutsche Schriftstellerin, von der ich noch nie gehört hatte, die noch etwa ein Viereljahrhundert vorher ihre Bücher geschrieben hat. Sie war die erste deutsche Frau, die vom Verkauf ihrer Schriften leben konnte. Wo wären wir heute ohne sie? Und doch kennt sie kaum jemand. Bekannter sind wohl ihre Enkel, Clemens Brentano und Bettina von Arnim, die ja auch keine unbedeutetende Figur für uns Frauen war.

Wie bei Jane Austen auch, wurde ihr erster Roman "Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim" zuerst anonym herausgegeben. Bei ersterer heißt es "von einer Lady", bei letzterer taucht nur der Name des Herausgebers auf und der Vermerk, dass "Die Geschichte … von einer Freundin desselben aus Originalpapieren […] gezogen" wurde. Ich denke, diesen Roman sollte man sich einmal antun.

Aber hier geht es ja um Sophie von La Roche, geboren als Tochter eines Arztes, nach ein paar in die Brüche gegangenen Beziehungen (u.a. mit ihrem späteren Verleger Christoph Martin Wieland) verheiratet mit einem Hofrat, Mutter von acht Kindern, von denen immerhin fünf erwachsen wurden, die Biographie hört sich an wie die einer begüterten Frau im 18. Jahrhundert. Sie las gern und kannte etliche Schriftsteller persönlich, u.a. Goethe und Schiller, die wohl bedeutendsten deutschen Autoren. Das führte wohl dazu, dass sie selbst Romane verfasste und eine der ersten Frauenzeitschriften in Deutschland herausgibt.

Wir müssen solche Frauen einfach bewundern. Die Steine, die ihnen in den Weg gelegt wurden, sind so enorm groß, das können wir uns heute wirklich nicht mehr vorstellen.

Renate Feyl hat dieser großartigen Frau ein Denkmal gesetzt.

Die Stadt Offenbach am Main gibt alle zwei Jahre den "Sophie von La Roche-Preis für die Gleichberechtigung von Frauen" heraus. Die bisherigen Preisträgerinnen waren Grete Steiner (2009), Parastou Forouhar (2011), Angela Freiberg (2013), das Arbeitsmarktprojekt "BeA Plus – Berufseinsteigerinnen in die Altenpflege" (2016), Songmoo Steph Taibi (2018), Antje Hagel (2020) und das Projekt Catcallsofoffenbach (2022). Ziemlich herausragende Frauen und Projekte.

Buchbeschreibung:

"Als 1771 der erste deutsche Frauenroman Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim zur Leipziger Messe erschien, machte er seine Verfasserin mit einem Schlag berühmt: Sophie von La Roche (1731-1807). Ihre Jugendliebe Wieland und Herder, Goethe, Lenz und Schiller bewunderten sie ebenso wie vor allem die Damen der Gesellschaft, später abonnierte Katharina die Große 500 Exemplare von Sophie von La Roches Zeitschrift Pomona. Dennoch war der glanzvolle Start der La Roche als Romanautorin vor allem der Beginn einer mühseligen, von Neid, Klatsch, Schicksalsschlägen und, nach dem Sturz ihres Mannes, ständigen Geldsorgen begleiteten Autorinnenkarriere.

In ihrem wunderschön geschriebenen Roman erzählt Renate Feyl die Geschichte der La Roche und ihrer literarischen Laufbahn, ihrer Lebensmaximen und Kämpfe, wobei der Detailreichtum über den Alltag der '
Großmutter Brentanos', über die Erziehung ihrer Kinder und ihrer Ehe, vor allem aber über die Besonderheiten des damaligen 'Literaturbetriebs' fasziniert. Voll brillianter Seitenhiebe und lebenskluger Einsicht: die Geschichte einer bedeutenden Frau und das Gegenstück zu Idylle mit Professor, dem Roman über Victoria Gottsched."

Hahn, Ulla "Liebesarten"

Hahn, Ulla "Liebesarten" [Styles of Love] - 2006

Nachdem ich Ulla Hahns erste drei Bücher ihrer Tetralogie "Das verborgene Wort", "Aufbruch" und "Spiel der Zeit" gelesen habe, war ich schon gespannt auf ein anderes Buch von ihr. Da "Wir werden erwartet" noch nicht als Taschenbuch zu haben war, habe ich mir ihre "Liebesarten" zu Gemüte gefühft, obwohl ich eigentlich kein großer Anhänger von Kurzgeschichten bin.

Es waren ein paar sehr nette dabei, aus denen man sicher auch gute Romane hätte machen können. Aber das ist oft das Problem, das ich mit Kurzgeschichten habe.

Wie der Buchumschlag verrät, geht es in den Geschichten jeweils um Wendepunkte, zumeist in einer Beziehung. Irgend etwas geschieht und danach ist nichts mehr so, wie es mal war.

Auf jeden Fall, wer Ulla Hahn mag, wird auch diese Geschichten mögen.

Klappentext:

"In jedem Leben gibt es Wendepunkte, nach denen nichts mehr so ist wie zuvor - war das Glück überwältigend, wird es plötzlich brüchig, selbstlose Hingabe wechselt in eitle Eigenliebe, Leidenschaft wird Verzweiflung. Ulla Hahn erzählt von diesen Wendepunkten, und jeder Wendepunkt stellt eine Variation auf die Liebe dar. Das sind bestrickende Geschichten über die Sehnsüchte, die nur manchmal erfüllt werden, über die Siege und Niederlagen des Zusammenlebens, über Zuwendung und Zärtlichkeit. Mitreißend und doch empfindsam, nahe, aber nie indiskret erzählt Ulla Hahn aus unserem Leben.

Neben bisher unveröffentlichten Erzählungen versammelt dieser Band auch Texte, die schon unter dem Titel '
Liebesarten' publiziert wurden."

Dienstag, 17. Januar 2023

Adichie, Chimamanda Ngozi "Die Hälfte der Sonne"

Adichie, Chimamanda Ngozi "Die Hälfte der Sonne" (Englisch: Half of a Yellow Sun) - 2006

Ich erinnere mich an die Zeit, als wir Teenager waren und ich Mitglied einer Jugendgruppe in der Kirche war. Wir kauften Orangen, schrieben "Biafra" darauf und verkauften sie nach der Messe. Wir wollten all den armen Kindern helfen, die in Biafra an Hunger starben.

Ich glaube nicht, dass viele von uns wussten, wo Biafra war. Immerhin war es ein neues Land. Wir haben die afrikanischen Länder in der Schule gelernt, aber Biafra war nicht dabei.

Und auch wenn sicher viele andere Geld für Biafra gesammelt haben, kann ich das Zitat "Die Welt war still, als wir starben" gut nachvollziehen. Ja, wir haben geschwiegen, wir schweigen immer noch. Viele von uns wissen nicht, was passiert ist, und ich bin froh, diese Geschichte gelesen und ein bisschen mehr über einen Teil dieses Kontinents erfahren zu haben, der noch so viele Probleme überwinden muss, die von uns Europäern verursacht wurden und werden. Biafra ist nur eines der Gebiete, mir fallen noch viele andere ein, zum Beispiel Ruanda.

Dieses Buch hatte schon einige Zeit auf meinem SUB gelegen. Warum? Ich denke, der einzige Grund ist, dass mein Stapel einfach zu groß ist. Das Buch ist wunderbar. Die Geschichte wirft uns direkt in das Leben von Ugwu, Olanna und Odenigbo, Kainene und Richard. Wir sind mitten in ihren Kämpfen, ihren Problemen, ihrem Überlebenswillen. Was für eine fantastische Geschichte. Man möchte es eigentlich innerhalb eines Tages zu Ende lesen, aber man will es auch nicht zu Ende lesen, weil man Angst vor dem hat, was am Ende kommt. Man lernt nicht nur die Charaktere kennen, sondern die ganze Situation, man lernt das Land und die Geschichte kennen. Einfach brilliant.

Der Titel dieses Romans stellt die Flagge von Biafra dar, eine Flagge, die ich noch nie gesehen hatte, daher sagte mir der Titel überhaupt nichts. Aber wenn man die Flagge sieht, wird alles klar. Hier bei Wikipedia kann man sie sehen.

Ich werde sicher noch mehr von dieser wunderbaren Autorin lesen.


Buchbeschreibung:

"Der große Afrika-Roman einer begnadeten Erzählerin: lebensprall, episch, überwältigend.

In ihrem neuen Roman erzählt Chimamanda Ngozi Adichie von der hoffnungsvollen Gründung und der grausamen Zerschlagung des Staates Biafra in den Sechzigern. Sie erzählt von den Menschen dort, einem Dorfjungen, einer privilegierten jungen Frau, einem englischen Schriftsteller, deren Wege sich kreuzen und deren Leben vom Krieg unwiderruflich verändert wird. Sie erzählt, am Beispiel Biafras, von Afrika.

Ugwu, ein ungebildeter kleiner Junge, kommt als Hausboy aus einem Dorf zu einem linksintellektuellen Dozenten in der Universitätsstadt Nsukka. Hier lernt Ugwu lesen, schreiben und selbständig denken und wird von der Geliebten seines Herrn unter die Fittiche genommen. Olanna stammt aus einer wohlhabenden, aber auch korrupten Familie und versucht, ihren eigenen, unabhängigen Weg zu gehen. Sie teilt die freiheitlichen Überzeugungen ihres Geliebten und lehnt es ab, wie ihre Zwillingsschwester auf der Klaviatur der Macht zu spielen. Der englische Schriftsteller Richard sucht in Nigeria nach Inspiration, ist fasziniert von der alten Igbo-Kunst und verliebt sich Hals über Kopf in Olannas Zwillingsschwester Kainene. Richard, Ugwu und Olanna werden Zeugen der überschäumenden Hoffnung, als im Osten Nigerias, wo die meisten Angehörigen der Igbo leben, der unabhängige Staat Biafra ausgerufen wird - und sie erleben, wie Biafra nach nur drei Jahren in einem der schlimmsten Bürgerkriege, die in Afrika je geführt worden sind, wieder untergeht. Wie die Hälfte der Sonne, die auf Biafras Flagge strahlte.

Nach ihrem preisgekrönten Debüt
Blauer Hibiskus erzählt auch Adichies neuer Roman vom Schicksal Afrikas: von den Nachwehen der Kolonialzeit, von Korruption, Verantwortung, ethnischen Bindungen, von den Brutalitäten des Krieges und von den Menschen, die er verändert, aber auch von der Liebe, die alles noch schwieriger macht - oder leichter."

Die Autorin erwähnt viele Bücher, die sie für die Recherche verwendet hat. Ich denke, sie alle wären es auch wert, gelesen zu werden, obwohl ich bezweifle, dass ich dies jemals schaffen werde.

Achebe, Chinua "Girls at War and Other Stories"
Amadi, Elechi "Sunset in Biafra"
Brandler, J.L. "Out of Nigeria"
Collis, Robert "Nigeria in Conflict"
De St. Jorre, John "The Nigerian Civil War"
Ekwe-Ekwe, Herbert "The Biafran War: Nigeria and the Aftermath"
Ekwensi, Cyprian "Divided We Stand"
Emecheta, Buchi "Destination Biafra"
Enekwe, Ossie "Come Thunder"
Forsyth, Frederick "Biafra Story"
Gold, Herbert "Biafra Goodbye"
Ike, Chukwuemeka "Sunset at Dawan"
Iroh, Eddie "The Siren at Night"
Jacobs, Dan "The Brutality of Nations"
Kanu, Anthonia "Broken Lives and Other Stories"
Madiebo, Alex "The Nigerian Revolution and the Biafran War"
Mok, Micheal "Biafra Journal
Niven, Rex "The War of Nigerian Unity"
Njoku, Hilary "A Tragedy Without Heroes"
Nwankwo, Arthur Agwuncha "The Making of a Nation"
Nwapa, Flora "Never Again"
Nwapa, Flora "Wives at War"
Odogwu, Bernard "No Place to Hide: Crises and Conflicts Inside Biafra"
Okigbo, Christopher "Labyrinths"
Okonta, Ike and Douglas, Oronta "Where Vultures Feed"
Okpaku, Joseph "Nigeria: Dilemma of Nationhood"
Okpi, Kalu "Biafra Testament"
Soyinka, Wole "The Man Died"
Stremlau, John J. "The International Politics of the Nigerian Civil War"
Uwechue, Ralph "Reflections on the Nigerian Civil War"
Uzokwe, Alfred Obiora "Surviving in Biafra"

Am Ende werden noch weitere Bücher von Chimamanda Ngozi Adichie und anderen afrikanischen Schriftstellern erwähnt, die es wert sind, gelesen zu werden:

Achebe, Chinua "Arrow of God" (Der Pfeil Gottes)
Adichie, Chimamanda Ngozi "Purple Hibiscus" (Blauer Hibiskus)
Chinodya, Shimmer "Harvest of Thorns" (Dornenernte)
Oguibe, Olu "Lessons from the Killing Fields"
Wainana, Binyavanga "How To Write About Africa"

Sie erwähnt dieses Buch auch mehrmals im Roman:
Douglass, Frederick "Narrative of the Life of Frederick Douglass, an American Slave"

Adichie, Chimamanda Ngozi "Mehr Feminismus!"


Adichie, Chimamanda Ngozi "Mehr Feminismus! Ein Manifest und vier Stories" (Englisch: We Should All Be Feminists) - 2014

Ein kleines Buch, ein kurzes Buch.
Aber ein sehr aussagekräftiges, ein sehr sinnvolles Buch. Wer dieses Jahr nur ein Sachbuch liest, sollte dieses nehmen.

Der Autor hat bereits einige sehr wichtige Bücher geschrieben, wobei "
Half of a Yellow Sun" (Die Hälfte der Sonne) wahrscheinlich das wichtigste ist. Dieses Büchlein ist kurz, aber sehr kraftvoll, sehr wichtig. Chimamanda Ngozi Adichie erzählt uns von ihrem Leben als Frau, eine Geschichte, die wohl viele Frauen auf der ganzen Welt erzählen können. Wir haben weniger Chancen, irgendwo auf der Welt durchzukommen, wir verdienen weniger Geld, auf unsere Stimmen wird weniger gut gehört.

Daher sollten wir alle darauf hören und versuchen, selbstbewusster zu sein, wenn es um unseren Kampf um mehr Anerkennung geht.

Buchbeschreibung:

"Mehr Feminismus! Der legendäre TED-Talk und vier neue Stories von Chimamanda Ngozi Adichie

Die junge Bestsellerautorin Chimamanda Ngozi Adichie machte mit ihrem TED-Talk '
We Should All Be Feminists' (dt.: 'Mehr Feminismus!') Furore. Popsängerin Beyoncé Knowles sampelte einige Passagen daraus in ihrem Song 'Flawless'. Mehr als 1,5 Millionen User sahen ihn im Netz, hier liegt er nun zum Nachlesen vor; gemeinsam mit vier neuen Stories, die Adichie einmal mehr als Erzählerin von Weltrang zeigen.

Mit ihren Geschichten gelingt ihr, was nur große Literatur vermag: Minutiös legt sie das Innerste ihrer Figuren bloß und enthüllt damit Wahrheiten unserer Gesellschaft, die so offenkundig sind, dass wir sie kaum jemals durchschauen. Adichie erzählt davon, wie man Rollenerwartungen erlernt, und davon, wie man lernt, sie zu brechen. Sie erzählt von Schuld, Scham und Sexualität, von Feminismus, Liebe und Heimat. Über all ihren Geschichten liegt der helle Schimmer einer besseren, einer toleranteren Welt. Adichie ist eine hellwache Beobachterin unserer Zeit und ihre Stories sind eine literarische Offenbarung.
"

Ich habe das englische Original gelesen und hoffe, die Übersetzung ist genauso gut.

Montag, 16. Januar 2023

Menasse, Robert "Die Hauptstadt"

 

Menasse, Robert "Die Hauptstadt" - The Capital - 2017

Ich habe vor vierzig Jahren in Brüssel gelebt und dort meinen Mann kennengelernt. Wir waren jedes Jahr mindestens einmal dort, meistens öfter. Als mein Sohn dort jedoch eine Stelle fand, stellte ich fest, dass ich sehr wenig über Belgien und nichts über Brüssel selbst gelesen habe. Also ging ich los und suchte nach Literatur. Dieses Buch erhielt 2017 den Deutschen Buchpreis und wurde international gelobt. Es wird erwähnt, dass es das erste Buch ist, in dem Brüssel die europäische Hauptstadt genannt wird. Wir haben es immer so genannt.

Das Buch erzählt uns von mehreren Beamten des Kulturministeriums und ihren Aufgaben. Die Charaktere sind so international wie alle Ämter der Europäischen Union, sie kommen aus Österreich, Belgien, der Tschechischen Republik, Zypern, Ungarn, den Niederlanden, Polen und dem Vereinigten Königreich.


Es beinhaltet auch einen Krimi für diejenigen, die so etwas in einem Buch lieben. Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, warum das für die Geschichte nötig ist, zumal es nicht wirklich etwas mit der Hauptgeschichte zu tun hat. Die Protagonisten sind hauptsächlich Beamte, die für die EU arbeiten und versuchen, etwas zu erreichen, meistens ihre Beförderung. Wir treffen Bürokraten, Experten, Lobbyisten … Es zeigt, wie bei vielen Veranstaltungen, Gesetzen, Verordnungen die unterschiedlichen Interessen innerhalb der EU berücksichtigt werden müssen. Keine leichte Aufgabe, wie wir alle wissen. Dennoch profitieren wir alle davon, dass unsere Länder Mitglied in dieser großen Union sind - auch wenn das manche nicht sehen wollen.

Eine der Geschichten in diesem dicken Buch ist der Plan, das 50-jährige Jubiläum mit einem großen Jubiläumsprojekt zu feiern und dies so zu gestalten, dass sich alle über das Ergebnis freuen. Wir sehen die Schwierigkeit, einen europäischen Konsens zu erreichen und trotzdem alle Staaten am Ergebnis teilhaben zu lassen.

Oh, und da ist ein Schwein. Eine der Einleitungen zum Buch lautet: "In Brüssel laufen die Fäden zusammen - und ein Schwein läuft durch die Straßen." Wieder nicht wirklich notwendig für die Geschichte.

Aber was diese Geschichte lesenswert macht, ist die Botschaft, die sie uns über die Europäische Union vermittelt. Es ist eine der wichtigsten Organisationen, der wir je angehört haben. Es hat viele Länder vereint, die zuvor verfeindet waren, und uns nicht nur Wohlstand, sondern auch Frieden für die längste Zeit gebracht, an die man sich erinnern kann. Allein schon deshalb finde ich dieses Buch bedeutsam.

Buchbeschreibung:

"In Brüssel laufen die Fäden zusammen - und ein Schwein durch die Straßen.

Fenia Xenopoulou, Beamtin in der Generaldirektion Kultur der Europäischen Kommission, steht vor einer schwierigen Aufgabe. Sie soll das Image der Kommission aufpolieren. Aber wie? Sie beauftragt den Referenten Martin Susman, eine Idee zu entwickeln. Die Idee nimmt Gestalt an - die Gestalt eines Gespensts aus der Geschichte, das für Unruhe in den EU-Institutionen sorgt. David de Vriend dämmert in einem Altenheim gegenüber dem Brüsseler Friedhof seinem Tod entgegen. Als Kind ist er von einem Deportationszug gesprungen, der seine Eltern in den Tod führte. Nun soll er bezeugen, was er im Begriff ist zu vergessen. Auch Kommissar Brunfaut steht vor einer schwierigen Aufgabe. Er muss aus politischen Gründen einen Mordfall auf sich beruhen lassen; 'zu den Akten legen' wäre zu viel gesagt, denn die sind unauffindbar. Und Alois Erhart, Emeritus der Volkswirtschaft, soll in einem Think-Tank der Kommission vor den Denkbeauftragten aller Länder Worte sprechen, die seine letzten sein könnten.

In seinem neuen Roman spannt Robert Menasse einen weiten Bogen zwischen den Zeiten, den Nationen, dem Unausweichlichen und der Ironie des Schicksals, zwischen kleinlicher Bürokratie und großen Gefühlen.

Und was macht Brüssel? Es sucht einen Namen - für das Schwein, das durch die Straßen läuft. Und David de Vriend bekommt ein Begräbnis, das stillschweigend zum Begräbnis einer ganzen Epoche wird: der Epoche der Scham.
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