Köhlmeier, Michael "Abendland" [Occident] - 2007Ich weiß gar nicht mehr, wann und wo ich dieses Buch gefunden habe. Auf jeden Fall war es eine schlechte Idee, das Lesen so lange aufzuschieben. Was kann ich sagen? Mein SUB ist einfach zu groß.
Dieses Buch ist einfach sagenhaft. Ein Mann, geboren im Jahr 1900. Er war fast so alt wie mein Großvater mütterlicherseits (geboren 1899, meine Großmutter 1901), so dass ich es allein deshalb schon spannend fand. Leider sind meine Großeltern nicht so alt geworden wie Carl Jacob Candoris, aber einen Teil der Geschichte sind sie schon zusammen gegangen.
Das Buch behandelt so viele Themen, von der Musik zu Beginn des letzten Jahrhunderts, insbesondere vom Jazz, über die zwei Weltkriege, die in Europa wütenden, bis zu der Geschichte Portugals und Brasiliens. Es geht um das Leben einiger weniger Personen, und nicht alle haben das ganze Jahrhundert erlebt. Aber das macht es gerade so interessant. Man kann sich vorstellen, was eine Person erlebt hat, die zu Beginn des letzten Jahrhunderts geboren wurde, wie meine Großeltern.
Ich habe ja schon einige "Jahrhundertsagas" gelesen, u.a. von Günter Grass (Mein Jahrhundert), Ken Follett und Geert Mak (Das Jahrhundert meines Vaters) oder auch die Geschichten von Edward Rutherfurd, die ja immer über mehrere Jahrhunderte gehen. Sie sind alle immer wieder hochinteressant, da wir sehen können, wie sich bestimmte Situationen im Laufe der Zeit entwickeln. Auch hier ist das der Fall.
Was ich auch gut fand, die Protagonisten sind Österreicher und es war sehr interessant, die Sicht unserer Nachbarn zu sehen, besonders zum 2. Weltkrieg und zum "Anschluss".
Das Buch gibt uns viele Denkanstösse. Zum Beispiel bei dieser Bemerkung:
"Wissen Sie, Candoris, was das angenehmste an unserer Wissenschaft ist? Daß bei den Objekten der Mathematik Schein und Sein zusammenfallen. 181 ist eine Primzahl, nicht weil man sie zu einer solchen erklärt hat, sondern weil es so ist. Beruhgit Sie das nicht auch? Mich hat es jedenfalls beruhigt."
Natürlich hat er recht. Aber erklär das mal jemand den Aluhüten oder den Trägern von diesen roten Baseball-Kappen.
Es handelt sich hier um einen ziemlich dicken Wälzer von mehr als 750 Seiten, aber jede einzelne davon ist es wert, gelesen zu werden.
Buchbeschreibung:
"Ein Panorama des 20. Jahrhunderts.
Die Lebensgeschichte des exzentrischen Mathematikers, Weltbürgers und Jazz-Fans Carl Jacob Candoris und seines Biographen Sebastian Lukasser. Im Spiegel zweier ungleicher Familien entsteht das vielschichtige Porträt einer ganzen Epoche.
Carl Jacob Candoris - Mathematiker, Weltbürger, Dandy und Jazz-Fan - ist fünfundneunzig, als er seine Lebensbeichte ablegt. Aufschreiben soll sie der Schriftsteller Sebastian Lukasser, Sohn des Gitarristen Georg Lukasser, den Candoris in den Jazz-Kellern im Wien der Nachkriegsjahre kennengelernt hat. Candoris erzählt von seinem Großvater, der in Wien einen berühmten Kolonialwarenladen betrieb; von seinen seltsamen Verwandten, bei denen er in Göttingen während seines Studiums lebt und die Größen der Naturwissenschaft kennenlernt; und vom Wien der Nachkriegszeit - wo Sebastians Geschichte beginnt, die Geschichte einer Selbstfindung, die sich über die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts zieht. Im Spiegel zweier ungleicher Familien entsteht so ein kluger, reicher, witziger und lebenssatter Generationenroman über unsere Zeit."