Hahn, Ulla "Das verborgene Wort" [The Hidden Word] - 2001
Die Geschichte von Hildegard "Hilla" Palm ist auch die Geschichte von Ulla Hahn. Und von mir.
Ich bin zwar ein paar Jahre jünger als die Autorin, aber vieles aus ihrer Geschichte erinnert mich auch an meine Kindheit. Unsere Gegend war katholisch. Ich war das einzige Mädchen (und älteste Kind) einer Arbeiterfamilie. Es war kein Geld da, dass ich das Abitur machen konnte. Und da auch nicht in der Nähe einer größeren Stadt wohnte, kamen meine Einflüsse auch eher von den umliegenden Dorfbewohnern. Es war in unserem Dörfchen schon fast ein Skandal, dass mein Lehrer mich fürs Gymnasium vorgeschlagen hatte (und zum Teil nicht die Kinder reicher Bauern), aber das Abitur zu machen war unmöglich. Ich hatte auch keinen Großvater oder sonst einen Verwandten, der mir Mut zugesprochen hat. So habe ich denn dieses Buch mit einem lachenden und einem weinenden Auge gelesen. Schön für Ulla Hahn oder auch Hilla Palm, dass sie es geschafft hat. Aber es brachte auch negative Erinnerungen hoch.
Es war eben wie es war. Meine Mutter musste auch früher von der Schule abgehen, um Geld zu verdienen, meiner Großmutter ging es genauso. Undsoweiter undsoweiter. Die Geschichte von Generationen von Frauen. Man hatte zu heiraten ("du heiratest ja sowieso"), wozu braucht man da eine ordentliche Schulausbildung? Geld verdienen, die Familie unterstützen, für die Aussteuer sparen. Das war das Motto.
Da ich später mal eine Weile in Köln und in der Nähe von Aachen gewohnt habe und außerdem niederdeutsch spreche, war es für mich nicht zu schwierig, den Text zu lesen, er ist ziemlich mit kölsch "durchsetzt". Menschen mit wenig Sprachverständnis haben womöglich Probleme mit der ein oder anderen Unterhaltung, aber auch diesen möchte ich zu diesem Buch raten. Es ist einfach sehr, sehr schön. Wer aus ähnlichen Verhältnissen kommt, findet vielleicht viele Parallelen, die anderen kann ich nur bitten, mehr Verständnis für all die "Ullas/Hillas" dieser Welt aufzubringen.
Buchumschlag:
"Im Wettstreit um das katholischste Milieu einer Romanhandlung hat sie dem unerreichbar führenden Heinrich Böll einige Punkte abgenommen: Ulla Hahn, Rheinländerin wie Böll, schildert in Das verborgene Wort eine Nachkriegskindheit, die so bedrückend katholisch ist, dass man Mühe hat, sich ins Gedächtnis zurückzurufen: Ja, genauso war es. So wird der Ich-Erzählerin Hildegard als Kleinkind nach ihren ersten vier Worten ["Mama", "Wauwau", "Bäbä" und "Hamham"] gleich ein Gebet beigebracht; die Nachbarin rechnet sich derweil aus, dass sie dreieinhalb Jahre lang täglich einen schmerzensreichen Rosenkranz und fünf Vaterunser beten muss, um ihrer Schwiegermutter, die ohne letzte Ölung gestorben war, aus dem Fegefeuer in den Himmel zu helfen. Es fällt schwer, das zu glauben, aber so ging es wohl wirklich mal zu in Deutschland.
Das heranwachsende Mädchen, ein neugieriges, aufgeschlossenes Kind, wird beinahe erdrückt von dieser muffigen Enge. Die Verständnislosigkeit der Eltern und die unnachgiebige Strenge der gottesfürchtigen Großmutter lassen Hildegard fast zerbrechen - wäre da nicht der Großvater, der ihr mit verwunschenen Geschichten das Tor zum Reich der Fantasie öffnet. Sie tritt ein in die Welt der Bücher und in dieser Welt findet sie ihr Zuhause, hier ist sie so frei, wie sie es im echten Leben nicht sein kann.
Ulla Hahn, als Lyrikerin eher die knappe literarische Form gewohnt, lässt beim Erzählen dieser [ihrer?] Kindheitsgeschichte alle Selbstbeschränkung fahren -- durch fast 600 Seiten hat man sich zu kämpfen. Das ist nicht immer einfach, denn die sehr poetische Sprache und vor allem der Versuch, den rheinischen Dialekt wiederzugeben, verlangen dem Leser einiges ab. Doch es lohnt sich: Das verborgene Wort ist eine wunderschöne emotionsgeladene Hymne auf die Kraft der Fantasie. "
Ulla Hahn erhielt sie 2002 den deutschen Bücherpreis für diesen Roman.
Montag, 8. August 2022
Hahn, Ulla "Das verborgene Wort"
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen