Mittwoch, 3. Dezember 2025

Kivi, Alexis "Die sieben Brüder"

Kivi, Alexis "Die sieben Brüder" (Finnisch: Seitsemän veljestä) - Seven Brothers - 1870

Angeblich ist dies das bekannteste und beste klassische finnische Buch. Na ja, ich habe leider noch nicht viel finnische Literatur gelesen, aber dies war auf gar keinen Fall das beste. Wie man schon dem Titel entnehmen und in der Beschreibung lesen kann, geht es um sieben Brüder. Man erwartet, oder ich erwartete die Geschichte einer "normalen" finnischen Familie aus der Zeit. Ich hätte gerne daraus gelernt, wie das Leben einer Durchschnittsfamilie so ablief.

Statt dessen hören wir nur von Raufereien und Saufgelagen. Die Sprache wird als "rustikal" beschrieben, aber "grob" oder "derb" ist selbst bei wohlwollendster Auslegung noch zu schmeichelhaft. Das Verhalten der Brüder untereinander glich eher dem von Kindergarten- oder jungen Schulkindern, sie hatten ein Benehmen am Leibe, das man in den Zwanzigern eigentlich abgelegt haben sollte.

Manche Leser mögen das lustig finden, mir hat es nicht gefallen. Schade.

Und hier einige Kommentare aus der Diskussion:

Das Buch löste keine dramatischen Reaktionen aus, regte uns aber dennoch zum Nachdenken über seine Themen, seinen Stil und seine Bedeutung in der finnischen Literatur an.

Die meisten von uns empfanden den Roman als anspruchsvoll. Die altertümliche Sprache, die langen Passagen und das langsame Erzähltempo erforderten etwas Eingewöhnungszeit.
Es dauerte eine Weile, bis ich mich in die Geschichte eingelesen hatte, aber sobald ich den Rhythmus verinnerlicht hatte, wirkte die Entwicklung der Brüder klar und authentisch.
Insgesamt schätzten viele, wie der Roman das Erwachsenwerden – das Lernen von Verantwortung, Geduld und das Zusammenleben mit anderen – darstellt.

Wir sprachen auch über einige der chaotischeren und schwierigeren Szenen, die den Realismus des Buches unterstreichen:
Die frühen Konflikte mit dem Dorf und den Behörden verdeutlichen, wie unvorbereitet die Brüder auf die Verantwortung Erwachsener sind.
Ihr Rückzug in den Wald ist nicht friedlich: In einem unachtsamen Moment brennen sie ihr eigenes Saunahaus nieder und sind nun obdachlos.
Sie geraten in echte Gefahr, darunter die bekannte Szene, in der sie in Notwehr eine Herde Stiere töten.
Ihre Jahre im Wald waren geprägt von Hunger, gescheiterten Versuchen, Landwirtschaft zu betreiben, übermäßigem Alkoholkonsum und häufigen Streitereien.
Diese Momente zeigen die Schattenseiten des Landlebens und den Weg, den die Brüder – praktisch wie persönlich – zurücklegen müssen, bevor sie in die Gesellschaft zurückkehren können.

Wir haben uns auch erneut damit auseinandergesetzt, warum Sieben Brüder eine so zentrale Rolle in der finnischen Literaturgeschichte spielt:
Das 1870 veröffentlichte Werk gehörte zu den ersten bedeutenden finnischen Werken in einer Zeit, als die finnischsprachige Literatur noch jung und kulturell fragil war.
Viele erwarteten von der finnischen Literatur edle, heroische oder erhebende Themen. Kivi hingegen schrieb über einfache Landbewohner, ihre Schwächen und die ungeschönte Realität ihres Lebens.
Frühe Kritiker empfanden das Buch als zu rau und meinten, es vermittle ein schlechtes Bild des finnischen Volkes.
Im Laufe der Zeit wurde es jedoch als bahnbrechendes Werk des Realismus anerkannt – es schildert das Landleben ohne Idealisierung.
Der allmähliche Weg der Brüder von Isolation und Impulsivität hin zu Verantwortung und Gemeinschaft spiegelt die umfassenderen Veränderungen wider, die sich damals in Finnland vollzogen.

Unser Gesamteindruck war, dass Sieben Brüder keine leichte Lektüre ist, doch das Verständnis des historischen Kontextes und des darin geschilderten Realismus half uns, seine Bedeutung zu erfassen. Die Ecken und Kanten und schwierigen Momente verleihen der letztendlichen Reife der Brüder Gewicht, und der Roman bleibt ein wichtiger Meilenstein der finnischen Literatur, gerade weil er Ehrlichkeit der Idealisierung vorzog.

Dies war unsere Lektüre in unserem internationalen Online-Lesekreis im November 2025.

Buchbeschreibung:

"Schauplatz des Schelmen- und Entwicklungsromans ist der ländliche SüdenFinnlands in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auf humorvoll-realistische Weise wird das urtümliche Leben der sieben Brüder des Jukola-Hofs geschildert; der älteste ist zu Beginn 25-jährig, der jüngste knapp 18 Jahre alt. Nach dem Tod ihres Vaters entfliehen die Brüder den Zwängen der Gesellschaft in die Wildnis und erleben dort zahlreiche Abenteuer. Ungebändigt und frei durchlaufen sie im harten Daseinskampf in den Wäldern eine Persönlichkeitsentwicklung, in derem Zuge sie ihre Rohheit, derben Saufgelage und Schlägereien überwinden und durch eigene Erfahrungen zu innerer Reife gelangen. In der Einöde philosophieren die Brüder über Religion sowie Moral und erzählen einander Sagen, versuchen sich nach zähem Ringen erfolgreich im Schreiben und Lesen. Nach zehn Jahren anarchischen Freiheitsgenusses kehren sie wieder zu ihrem heimatlichen Hof zurück, den sie verpachtet hatten. Die Dorfgemeinschaft nimmt die Heimgekehrten wohlwollend auf und unterstützt sie in ihrer Eingliederung in das Gemeindeleben. Die Brüder wenden sich einem sittsamen Leben zu und gründen Familien; die beiden intelligentesten werden mit Ehrenämtern betraut. Kivi zeigt sich in seinem Roman, in dem er liebevoll die Charaktertypen seines Volks mit all ihren Vorzügen und Schwächen schildert, als Philanthrop. Milde und Verständnis bewirken mehr als Strafe und Reglementierung, Entwicklung ist nur aus sich selbst heraus möglich, nicht durch Druck von aussen - so lautet seine Devise. Der Roman ist ein Volksbuch, da er in realistisch-urtümlicher und humorvoller Weise die typischen Züge des finnischen Menschen, sein Verhältnis zur Gesellschaft und zur Natur in oftmals derber Anschaulichkeit darstellt."

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