Ernaux, Annie "Die Jahre" (Französisch: Les années) - The Years - 2008
Wie so oft hatte ich vor Erhalt des Nobelpreises noch nie von Annie Ernaux gehört. Und deshalb warte ich immer sehnsüchtig auf die Auszeichnungen, in 99 % der Fälle ist die Auswahl hervorragend.
Und das war auch dieses Mal der Fall. Annie Ernaux ist etwas älter als ich, aber ich konnte viele ihrer Erfahrungen in meinem Leben wiederfinden. Ich denke, die meisten Frauen, die Mitte des letzten Jahrhunderts geboren wurden, teilen sie, egal woher sie kommen. Vielleicht hat mir dieses Buch deshalb gefallen.
Es war überhaupt nicht das, was ich erwartet hatte. Während die Autorin heranwächst, vergleicht sie ihr Leben mit ihrem Land, seiner Politik, seinen Entwicklungen, insbesondere für Frauen (immer zu langsam). Ihre Erinnerungen sind zufällig, immer in Fragmenten, wie eine Collage oder ein Sammelalbum. Sie verwendet die dritte Person Singular. Ich denke, das erleichtert uns den Zugang zu ihrer Geschichte, sie erweckt nicht den Eindruck, als würde sie nur über sich selbst sprechen.
Dies ist also nicht nur eine Biografie über das Leben von Annie Ernaux, sondern eine Geschichte Frankreichs nach dem Zweiten Weltkrieg. Und eine Erinnerung daran, über unser eigenes Leben nachzudenken und darüber, was unser Land für uns getan und uns angetan hat. Ich bin also sicher, dass es auch für jüngere Menschen interessant ist, die gerne etwas über die Generationen vor ihnen erfahren möchten.
Ich habe Französisch nicht studiert (wohl aber gelernt), aber viele Kurse besucht und viel über französische Geschichte und Politik gelesen, das Land besucht und habe Freunde dort. Für mich war also nicht viel völlig neu. Aber es hat mir trotzdem Spaß gemacht zu erfahren, was Geschichte und Gesellschaft mit einer einzelnen Person gemacht haben, wie sie so aufgewachsen ist, wie sie es getan hat, und zu der Frau geworden ist, die sie heute ist. Ich werde sicherlich noch mehr von ihr lesen.
Buchbeschreibung:
"Das Schwarz-Weiß-Foto eines Mädchens in dunklem Badeanzug auf einem
Kieselstrand. Im Hintergrund eine Steilküste. Sie sitzt auf einem
flachen Stein, die kräftigen Beine ausgestreckt, die Arme auf den Felsen
gestützt, die Augen geschlossen, den Kopf leicht zur Seite geneigt. Sie
lächelt. Ein dicker brauner Zopf fällt ihr über die Schulter, der
andere verschwindet hinter ihrem Rücken. Offensichtlich imitiert sie die
Pose der Filmstars aus Cinémonde oder aus der Werbung für
Ambre-Solaire-Sonnenmilch und will so ihrem demütigend unreifen
Kleinmädchenkörper entfliehen. Auf ihren Schenkeln und Oberarmen
zeichnet sich der helle Abdruck eines Kleides ab, ein Hinweis darauf,
dass ein Ausflug ans Meer für dieses Kind eine Seltenheit ist. Der
Strand ist menschenleer. Auf der Rückseite: August 1949,
Sotteville-sur-Mer.
Kindheit in der Nachkriegszeit,
Algerienkrise, die Karriere an der Universität, das Schreiben, eine
prekäre Ehe, die Mutterschaft, de Gaulle, das Jahr 1968, Krankheiten und
Verluste, die so genannte Emanzipation der Frau, Frankreich unter
Mitterrand, die Folgen der Globalisierung, die uneingelösten
Verheißungen der Nullerjahre, das eigene Altern. Anhand von Fotografien,
Erinnerungen und Aufzeichnungen, von Wörtern, Melodien und Gegenständen
vergegenwärtigt Annie Ernaux die Jahre, die vergangen sind. Und dabei
schreibt sie ihr Leben - unser Leben, das Leben - in eine völlig
neuartige Erzählform ein, in eine kollektive, 'unpersönliche
Autobiographie'.
Geschichte ihrer selbst, Gesellschaftsporträt,
universelle Chronik: Annie Ernaux hat ein melancholisches Meisterwerk
der Gedächtnisliteratur geschrieben und einen schillernden roman total."
Annie Ernaux erhielt den Nobelpreis für Literatur 2022 "für den Mut und die klinische Schärfe, mit der sie die Wurzeln,
Entfremdungen und kollektiven Fesseln der persönlichen Erinnerung
aufdeckt."
Ich wirke an dieser Seite mit: Read the Nobels und Ihr könnt alle meine Blog-Einträge über Nobelpreisträger und ihre Bücher hier
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