Mittwoch, 20. November 2024

Gao, Xingjian "Der Berg der Seele"

Gao, Xingjian "Der Berg der Seele" (Chinesisch: 灵山, língshān) - Soul Mountain - 1989

Ein außergewöhnliches Buch. Eine Biografie, eine Suche nach der Seele eines Menschen in einer Welt, in der das Individuum nichts bedeutet. Eine Sammlung von Geschichten aus der Gegenwart und der Vergangenheit, die hin und her springen, aber nach einer Weile hat man den Dreh raus. Eine Einführung in die Charaktere, die "ich" und "du", "er" und "sie" sind, aber sie scheinen sich alle zu vermischen. Eine Geschichte über einen Reisenden, der sein eigenes Land entdeckt und dabei sich selbst entdeckt. Und nebenbei führt er den Leser in viel chinesische Kultur, Religion, Politik und Geschichte sowie in seine eigene Geschichte ein, die Geschichte seines Vaters, seiner Vorfahren.

Mir gefiel auch seine Einsicht in viele Probleme, die nicht die seinen sind, man könnte meinen, er hätte andere eigene Probleme, über die er nachdenken muss, aber nein, er liefert Zitate wie "... wenn Menschen die Natur angreifen, rächt sich die Natur unweigerlich." oder "... nicht die Natur ist furchteinflößend, es sind die Menschen, die furchteinflößend sind!"

Eine meiner Lieblingspassagen: "Ich suche ständig nach Sinn, aber was ist Sinn eigentlich? Kann ich die Menschen davon abhalten, diesen großen Damm als Grabinschrift für die Vernichtung ihres Selbst zu bauen? Ich kann nur nach dem Selbst des Ich suchen, das klein und unbedeutend ist wie ein Sandkorn. Ich könnte genauso gut ein Buch über das menschliche Selbst schreiben, ohne mir Gedanken darüber zu machen, ob es veröffentlicht wird. Aber welche Konsequenzen hat es dann, ob ein Buch mehr oder ein Buch weniger geschrieben wird? Ist nicht schon genug Kultur zerstört worden? Braucht die Menschheit so viel Kultur? Und außerdem, was ist Kultur?"

Und dann liebe ich es, als Esperanto-Sprecherin, wenn ich meine Sprache in einem Buch finde: "Er hatte eine tiefe Stimme und konnte Die Internationale auf Esperanto singen."

Dies ist auf jeden Fall keine leichte Lektüre, nichts, was man nebenbei liest, um eine "nette Geschichte" zu hören. Der Autor fordert uns auf, seine Lebensweise und die Lebensweise seiner Kultur zu verstehen. Und indem wir ihn auf seiner Suche nach dem Berg der Seele an der Quelle des Jangtse begleiten, können wirauch viel über uns selbst erfahren.

Buchbeschreibung:

"Der Berg der Seele ist der große autobiographische Roman des Nobelpreisträgers Gao Xingjian. Den Fluss Yangtze hinab von der Quelle bis ans Meer führt ihn eine epische Reise in das Herz eines unbekannten China. 1983 diagnostiziert ein Arzt bei Gao Lungenkrebs und gibt ihm nur noch wenige Monate. Dies stellt sich bald als falsch heraus und mit dem Gefühl, dem Tod durch Finger geschlüpft zu sein, beschließt er, der sich abzeichnenden politischen Repression in der Hauptstadt zu entgehen. Lingshan, der von Legenden umwobene Berg der Seele, wird zum Fluchtpunkt einer Reise, auf der er die leuchtenden Farben einer vom offiziellen Peking an den Rand gedrängten Welt entdeckt. Unterwegs wie Bruce Chatwin in Australien ist er auf der Spur einer anderen, einer sinnlichen Geschichte, begegnet er weisen Frauen, skurilen Helden und den letzten Schamanen."

Xingjian Gao erhielt den Nobelpreis für Literatur in 2000 "für sein Werk von universaler Güte, bitterer Einsicht und sprachlichem Sinnreichtum".

Ich wirke an dieser Seite mit: Read the Nobels, und Ihr könnt alle meine Blog-Einträge über Nobelpreisträger und ihre Bücher hier finden.

Dienstag, 19. November 2024

Wharton, Edith "Ethan Frome"

Wharton, Edith "Ethan Frome" oder "Winter" (Englisch: Ethan Frome) - 1911

Das Einstiegsbuch für eines meiner Projekte auf meinem englischen Blog ("Six Degrees of Separation") war "Ethan Frome". Oft habe ich das Einstiegsbuch nicht gelesen oder auch nur davon gehört. Aber ich habe "Das Haus der Freude" (The House of Mirth) gelesen und mochte es, also beschloss ich, dieses hier zu lesen, besonders, da es nur eine Novelle ist, und so konnte ich es zwischendurch lesen.

Eine gute Geschichte über das Leben unter harten Umständen vor etwa einem Jahrhundert. Ich bin sicher, das hätte auch eine gute, dicke Geschichte sein können, aber die Autorin hat sich entschieden, sie kurz zu halten. Und ausnahmsweise hat es mich nicht einmal so sehr gestört.

Ich sollte wahrscheinlich mehr von Edith Wharton lesen. Irgendwelche Vorschläge?

Buchbeschreibung:

"In dem freudlosen, abgeschiedenen Ort Starkfield in Neuengland, der die meiste Zeit des Jahres im Schnee versinkt, sind auch die Gefühle der Menschen zu Eis erstarrt. Die Pulitzerpreisträgerin Edith Wharton erzählt von einer untergegangenen Welt, die in den Figuren ihres berührenden Romans erschreckend lebendig wird. Den Farmer Ethan Frome verbindet eine Dreiecksbeziehung mit seiner Frau und deren jüngerer Cousine Mattie. Ihr Leben ist geprägt von Liebe und Einsamkeit, von sexueller Frustration und moralischer Verzweiflung. Eine archetypische Geschichte von leidenschaftlichem Aufbegehren und tragischer Passivität, von Sprachlosigkeit und der Unfähigkeit, dem Schicksal zu entrinnen. Ein kompositorisches Meisterwerk, pure Erzählmagie!"

Montag, 18. November 2024

Towles, Amor "Eine Frage der Höflichkeit"

Towles, Amor "Eine Frage der Höflichkeit" (Englisch: Rules of Civility) - 2011

Nachdem ich "Ein Gentleman in Moskau" (A Gentleman in Moscow)  gelesen hatte, wollte ich unbedingt mehr von diesem Autor lesen, und als mir eine meiner Lesekreismitglieder anbot, mir ihr Exemplar von diesem Buch zu leihen, sagte ich gerne zu.

Es ist nicht dasselbe wie der oben erwähnte Roman, aber auch sehr gut. Ein völlig anderes Gebiet, eine andere Situation, aber man hat ein ähnliches Gefühl. Dieser spielt in New York und dreht sich um das Leben eines jungen Mädchens, das nach New York kommt.

Wir erfahren nicht viel über die aus Russland eingewanderten Eltern, aber es ist ihre Herkunft, die ihr ihre Jobs verschafft, da sie Russisch sprechen kann.

Wir lernen ihre Freunde kennen, die Kreise, in denen sie sich bewegt. Ein gut geschriebener Bericht über das Leben in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Amor Towles ist sicherlich ein Autor, der weiß, wie man ein Publikum fesselt.

Im Nachwort finden wir eine der wahrscheinlich wichtigsten Zeilen des ganzen Buches (übersetzt von mir):

"Die Sache ist die: 1939 mag in Europa den Beginn des Krieges gebracht haben, in Amerika jedoch das Ende der Depression. Während sie annektierten und beschwichtigten, heizten wir die Stahlwerke an, bauten die Fließbänder wieder auf und bereiteten uns darauf vor, die weltweite Nachfrage nach Waffen und Munition zu befriedigen. Im Dezember 1940, als Frankreich bereits gefallen war und die Luftwaffe London bombardierte, beobachtete Irving Berlin in Amerika, wie die Baumwipfel glitzerten und Kinder den Schlittenglocken im Schnee lauschten. So weit waren wir vom Zweiten Weltkrieg entfernt."

Der Titel basiert auf George Washingtons "Regeln der Höflichkeit" und die finden wir hier.

Buchbeschreibung:

"New York, Neujahr 1937: Die beiden Freundinnen Kate und Eve – zwei Provinzschönheiten, die die Welt erobern wollen – gabeln in einer Jazzkneipe den charmanten Tinker Grey auf. Er trägt Kaschmir und scheint Single zu sein – ein Sechser im Lotto. Eine turbulente Freundschaft à trois beginnt. Die beiden jungen Frauen weisen Tinker in die geheime Kunst des Schnorrens ein, und Tinker revanchiert sich, indem er sie in die feinsten Clubs der City ausführt . Erst als das beschwingte Dauerabenteuer jäh durch einen Unfall beendet wird, stellt sich für Kate die Frage, wer eigentlich in wen verliebt ist – und was das Leben wirklich ausmacht."

Samstag, 16. November 2024

Trivizas, Eugene "Die drei kleinen Wölfe und das große böse Schwein"

 

Trivizas, Eugene "Die drei kleinen Wölfe und das große böse Schwein" (Englisch: The Three Little Wolves and The Big Bad Pig) - 1997 

Es gibt ein schönes Buch über die drei kleinen Schweinchen, das leider nicht ins Deutsch übersetzt wurde: "The True Story of the Three Little Pigs" (Die wahre Geschichte der drei kleinen Schweinchen) von Jon Scieszka. Diess hat einen ähnlichen Hintergrund, und es wurde übersetzt.

Wie der Titel schon andeutet, sind die Wölfe klein und das Schwein böse, also ist die ganze Geschichte genau das Gegenteil eines üblichen Märchens. Sie zeigt Kindern, dass jede Geschichte zwei Seiten haben kann und dass man jede Geschichte auch anders verstehen kann.

Der Anfang ist derselbe, die Wölfe wollen ein schönes Haus kaufen und das Schwein zerstört sie. Nur sind die Wölfe schlau und bauen ihre Häuser aus Ziegeln und Beton, aber das Schwein kommt mit Vorschlaghammer und Dynamit. Erst als sie ein Haus aus Blumen bauen und das Schwein den schönen Duft riecht, hört es auf, sie zu verfolgen.

Wir könnten auch sagen, dies ist eine "Make Love Not War"-Geschichte für Kinder, die ihnen zeigt, dass es besser ist, nett zueinander zu sein, als zu kämpfen.

Buchbeschreibung:

"Ein böses, garstiges Schwein zerstört das Haus, in dem drei kleine Wölfe leben. Diese sind untröstlich. Als sie sich dann aber ein neues Haus ganz aus Blumen bauen, geschieht etwas Unerwartetes: Das Schwein labt sich an dem herrlichen Blumenduft und macht einen Sinneswandel durch. Schwein und Wölfe werden die besten Freunde."

Freitag, 15. November 2024

Ibsen, Henrik "Peer Gynt"

Ibsen, Henrik "Peer Gynt" (Norwegian: Peer Gynt) - Peer Gynt - 1867

Ich habe die Musik "Peer Gynt" von Edvard Grieg immer geliebt und daher klang allein der Titel dieses Stücks für mich gleichzeitig geheimnisvoll und bezaubernd.

Ich habe es schon einmal erwähnt, ein Stück zu lesen ist nur die halbe Freude und ich würde mir viel lieber ein Stück ansehen, aber das ist nicht immer möglich. Also habe ich mich nach langem Überlegen endlich an dieses hier gewagt. Ich finde es noch schwieriger zu lesen, wenn es – wie hier – in Gedichtform geschrieben ist.

In diesem Stück gibt es Trolle, aber auch Reisen nach Nordafrika (Marokko und Ägypten), wir werden Zeugen einer Entführung und eines Mordes, Liebe und Verrat, Leben und Tod, diese Geschichte hat alles. Sie ist sowohl satirisch als auch mystisch.

Peer Gynt ist jedoch nicht die Art von Charakter, die man gerne hätte. Warum sogar seine Mutter ihn mag, weiß niemand. Er ist überhaupt nicht sympathisch, er ist zu niemandem nett, wir alle wären ohne ihn besser dran.

Sicherlich nicht mein Lieblingsbuch des Jahres, aber ich bin froh, dass ich es endlich gelesen habe.

Und inzwischen habe ich auch eien (sehr moderne) Aufführung des Stücks im Theater gesehen. Einfach sagenhaft!

Buchbeschreibung:

"'Peer, du lügst!', lässt Henrik Ibsen zu Beginn seines glanzvollen 'dramatischen Gedichts' Peer Gynts Mutter Aase ausrufen und ein Lügner ist ihr Sohn in der Tat: ein Prahlhans, ein Fabulierer, der sehnsüchtig alles Fantastische über die nüchterne, elende Wirklichkeit stellt. Zusehends verschwimmen die Grenzen zwischen Träumerei und Realität, und schon bald gerät der abenteuerhungrige Bauernsohn auf der Suche nach Ansehen und Wohlstand in das dämonisch-mythische Reich der Trolle ... Ibsens 'Peer Gynt', 1876 uraufgeführt, wurde zu Recht oft mit 'Don Quijote' und 'Faust' verglichen. "

Donnerstag, 14. November 2024

Falcones, Ildefonso "Das Lied der Freiheit"

Falcones, Ildefonso "Das Lied der Freiheit" (Spanisch: La Reina Descalza) - The Barefoot Queen - 2013

Wie schon in seinen früheren Büchern "Die Kathedrale des Meeres" (Cathedral of the Sea) und "Die Pfeiler des Glaubens" (The Hand of Fatima) enttäuscht Ildefonso Falcones auch mit seinem neuesten Roman nicht. Ob er nun über Barcelona im 14. Jahrhundert, Muslime im 16. Jahrhundert oder Zigeuner im 18. Jahrhundert spricht, er scheint alle Charaktere persönlich zu kennen und führt uns in ihr Leben und ihre Kämpfe ein. Diesmal sind es die Zigeuner und ihre Probleme in einem Land, in dem sie nicht willkommen sind, na ja, wo sind sie das schon? Sie können ihren Lebensunterhalt nicht verdienen, indem sie irgendwo bleiben, weil sie viele, viele Jobs nicht ausüben dürfen, aber sie können auch nicht reisen. Und als die spanische Krone beschließt, sie alle einzusperren, um den perfekten Völkermord durchzuführen. Nun, zum Glück gibt es keinen perfekten Völkermord, es gibt immer Angehörige einer Rasse, die bereit sind, bis zum Ende zu kämpfen.

Ildefonso Falcones ist ein großartiger Geschichtenerzähler. Er kann uns in die Charaktere verlieben und mit ihnen fühlen lassen, während sie ihr dramatisches Leben durchleben. Und darüber hinaus ist es auch eine fantastische Geschichtsstunde. Wir lernen nicht nur etwas über Spanien im 18. Jahrhundert, sondern auch über Sklaven in Kuba, Tabakanbau und -verarbeitung, Handel und Schmuggel. Es gibt so viel in dieser Geschichte. Obwohl Caridad, eine ehemalige Sklavin, die Protagonistin sein soll, sind ihre Freundin Milagros mit ihrem Großvater Melchor und ihre Familie auch ziemlich wichtig für die Geschichte.

Alle seine Bücher sind einfach hervorragend. Hoffentlich schreibt er bald mehr.

Buchbeschreibung:

"Sevilla 1748: Die freigelassene Sklavin Caridad findet Zuflucht bei der Zigeunerfamilie Vega. Hier freundet sie sich mit der schönen Sängerin Milagros an. Beide wissen, was es heißt, einem unterdrückten Volk anzugehören – noch dazu als Frau in einer von Männern beherrschten Welt. Ihre von Schicksalsschlägen gezeichneten Lebenswege führen sie von den sonnenverbrannten Ebenen Andalusiens in die prunkvollen Straßen und Theater der Königsresidenz Madrid.

Ildefonso Falcones’ opulenter Roman ist wie der Flamenco: Er erzählt von Schmerz und Trauer, Liebe und Freundschaft, Hass und Verrat, Sehnsucht und Hoffnung – und von der Freiheit.
"

Falcones, Ildefonso "Die Pfeiler des Glaubens"

Falcones, Ildefonso "Die Pfeiler des Glaubens" (Spanisch: La mano de Fátima) - The Hand of Fatima - 2009

Nachdem ich "Die Kathedrale des Meeres" (Cathedral of the Sea) gelesen und geliebt hatte, musste ich mir einfach den nächsten Roman dieses Autors besorgen. Ich liebe historische Romane, besonders wenn sie mir etwas über eine Zeit beibringen, über die ich nichts oder kaum etwas weiß. Ich wusste, dass die Alhambra von den Mauren erbaut wurde und dass es in Spanien viele Muslime gab, aber das war es auch schon.

1564 vereint Hernando Ruiz, ein uneheliches Kind einer muslimischen Frau, die von einem katholischen Priester vergewaltigt wurde, beide Kulturen, wird aber von keiner akzeptiert. Er verbringt sein ganzes Leben damit, die beiden Religionen zusammenzubringen und opfert dabei fast alles. Vom Aufstand der Morisken (zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime) in Granada bis zur Vertreibung aller Muslime aus Spanien.

Aber der Autor liefert auch einen wunderbaren Bericht über Liebe und Hingabe, Entscheidungen, die getroffen werden müssen, Macht und deren Verlust, die Weitergabe des eigenen Erbes, die Themen sind endlos. Manche würden sagen "Genau wie dieses Buch." Ich war traurig, mich nach 972 Seiten davon verabschieden zu müssen.

Ein Zitat muss ich hinzufügen: "Wir Menschen sind es, die sich voneinander trennen, die interpretieren, die wählen. Gott bleibt derselbe; ich glaube, das bestreitet niemand."

Da mein Spanisch nicht "so gut" ist, habe ich die englische Übersetzung gelesen. Entgegen dem Gefühl, das ich oft habe, fühlt es sich nicht wirklich wie eine Übersetzung an, auch wenn ich die Originalsprache nicht spreche.

Dies ist ein MUSS für alle, die lange Bücher und/oder historische Romane lieben.

Buchbeschreibung:

"Andalusien 1568. Nach Jahren der Unterdrückung erheben sich die Mauren gegen ihre christlichen Peiniger. Unter den Aufständischen ist auch Hernando Ruiz, ein junger Mann mit auffallend blauen Augen, gezeugt bei der brutalen Vergewaltigung einer Muslimin durch einen Priester. Von Geburt an als Außenseiter gezeichnet, führt Hernando einen einsamen Kampf, bis die Liebe zu einer Frau ihm Hoffnung auf ein neues Leben schenkt, aber auch eine schreckliche Entscheidung abverlangt ..."