Sonntag, 13. Juni 2021

Hansen, Dörte "Mittagsstunde"

Hansen, Dörte "Mittagsstunde" [Lunchtime] - 2018

Da mir "Altes Land" (This House is Mine), das erste Buch von Dörte Hansen, so gut gefallen hatte, wartete ich schon eine ganze Weile darauf, dass "Mittagsstunde" endlich als Taschenbuch erscheint.

Dieses Buch gefiel mir fast noch besser. Ich bin zwar nicht direkt an der Nordsee aufgewachsen, aber die Geschichten, die die Autorin von Brinkebüll herzählt, hätten auch in meinem Dorf passieren können. Die Personen muss man sich nicht ausdenken, jedes Dorf hatte (hat) so seinen grumpeligen, knorrigen Opa, der keine Veränderungen wollte, seine Klatschtante, seinen Wirt, der alle kannte, den kleinen Dorfladen, wo man außer Mehl und Zucker auch noch alles andere bekam, was man nicht zu Hause selbst anbaute. Die Dorfjugend hatte so seine Treffpunkte, von denen manche Eltern nichts wussten (oder zumindest so taten als ob). Die meisten blieben auch im Dorf, heirateten vielleicht, aber auch nur vielleicht, jemandem aus dem Nachbarort und sonst jemanden, dessen Urahnen schon drei Straßen weiter gewohnt hatten. Man half sich gegenseitig, wo man konnte, man lernte zusammen, man lachte zusammen, man feierte zusammen, man trauerte zusammen.

Auch die Geschichte mit dem Plattdeutsch kommt mir sehr bekannt vor. Als ich noch klein war, konnte das jeder. Aber die ersten Eltern fingen schon an, mit ihren Kindern hochdeutsch zu sprechen, "damit sie es in der Schule leichter haben". Hatten sie nicht, ganz im Gegenteil, wenn die Eltern nicht selbst perfektes Hochdeutsch sprachen (und die meisten taten das nicht), mussten die Kinder diese Fehler wieder "verlernen". Ich bin froh, dass meine Eltern das nicht gemacht haben.

Ich hoffe, das gefällt auch denen, die in anderen Gegenden Deutschlands aufgewachsen sind und denen das Plattdeutsche nicht so geläufig ist.

Vieles erinnerte mich auch an meine Jugend, z.B. die Erzählung, wie Ingwers Mutter "… Schlager aus dem Radio, … selbst aufgenommen hatte. '... lohnt sich nicht my Darling', die ersten Takte fehlten oft, und nach dem Ende eines Liedes hörte man den abgewürgten Rundfunksprecher, wenn sie nicht schnell genug die Stopptaste gedrückt hatte. 'Das war Siv Malmkv… | man noch Träume, da wachsen noch alle Bäume'." Anders ging es damals einfach nicht, wenn man seine Lieblingsstücke hören wollte und kein Geld für die neuesten Schallplatten besaß. Ich habe wohl andere Lieder gehört, aber meine Aufnahmen waren so ähnlich. Und "Liebeskummer lohnt sich nicht" sowie "Mit 17 hat man noch Träume" kenne ich natürlich noch gut, das waren die Lieder, die meinen Eltern gefielen.

Auch die Veränderungen im Dorfleben sind wohl allüberall nachvollziehbar.

Dass das Buch gleich in so viele Sprachen übersetzt worden ist, spricht für sich. Leider mal wieder nicht ins Englische, hoffentlich kommt das bald, damit ich es auch meinen englischsprachigen Freunden empfehlen kann. Im Moment habe ich den Roman gleich an meine Schwägerin verliehen mit dem Vermerk: "Das musst du unbedingt lesen!"

Klappentext:

"Was bleibt von uns, wenn alles, was wir kannten, untergeht?

Ingwer Feddersen erkennt das Dorf, in dem er aufgewachsen ist, nicht wieder: keine Schule mehr, kein Bäcker und kein Kaufmann. Keine Störche auf dem Dach der Kirche, auf den Feldern keine Kühe, nur noch Mais und Wind. Als wäre eine ganze Welt versunken. Aber im Gasthof steht noch immer Sönke Feddersen, de Ole, stur wie ein Findling hinter seinem Tresen. Und Ingwer, de Jung, vor Jahrzehnten weggezogen, kehrt zurück. Er hat in diesem Dorf noch etwas gutzumachen.

Mit großer Wärme erzählt Dörte Hansen vom Verschwinden einer bäuerlichen Welt, von Verlust, Abschied und von einem Neubeginn
."

Ich habe vor vielen Jahren ein Buch des niederländischen Autoren Geert Mak gelesen:
"Wie Gott Verschwand Aus Jorwerd: Der Untergang des Dorfes in Europa" (NL: Hoe God verdween uit Jorwerd) (Englisch: Jorwerd: The Death of the Village in late 20th Century)

Dies ist ein Sachbuch, aber es erzählt genauso von der Veränderung, die alle Dörfer im letzten Jahrhundert mitgemacht haben, und da sowohl Joorwerd als auch Brinkebüll an der Nordsee liegen, haben sie natürlich einiges gemeinsam. Ich kann auch dieses Buch nur empfehlen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen